Es ist eine ewige Hassliebe, die das slowenische Publikum und seinen Fernsehsender RTVSLO miteinander verbindet und die sich seit Dekaden beim Vorentscheid des Landes, der Evrovizijska Melodija (EMA), in ungezählten Manipulationsversuchen mit Hilfe des Votingverfahrens oder der Jury manifestiert. So auch in diesem Jahr, wo der Sender sehr offensichtlich die 22jährige Harfenspielerin und Sängerin Sara Briški Cirman, besser bekannt unter ihrem Bühnennamen Raiven, nach Tel Aviv entsenden wollte. Nämliche Raiven also, die bereits bei der EMA 2016 einen zweiten Platz belegte, im Jahr darauf einen dritten, die 2018 die Show moderieren durfte und die diesmal den Pimp Slot zugeschanzt bekam. Um ganz sicher zu gehen, dass das Publikum keine Wahl hätte, bestimmte die in der ersten Wertungsrunde alleine entscheidungsberechtigte Jury sogar extra einen besonders aussichtlosen Act zu den Pro-Forma-Gegnern Raivens. Nämlich Zala Kralj und Gašper Šantl, ein weiß gekleidetes, teilnahmslos-verstört agierendes Pärchen, bestehend aus einer offensichtlich akut suizidgefährdeten, leise vor sich hin wimmernden Frau und einem hospitalisiert schaukelnden Typen mit versteinertem Gesicht und toten Augen, der sich krampfhaft hinter seinem Keyboard versteckte und panisch jeglichen Sichtkontakt mit dem Publikum und seinem Gespons vermied.
Flehentlich flüstert Zala ihrem Kasper ihr Leid ins Ohr, doch der wirkt völlig abwesend: der slowenische Eurovisionsbeitrag 2019 raubt dem Zuschauer in Sekunden jeglichen Lebenswillen.
Dieses schon optisch und stimmungsmäßig zutiefst deprimierende Tableau entspann sich zudem auf einem musikalischen Bett ziellos vor sich pluckernder Synthesizer-Muzak aus der Abteilung “GEMA-frei”. Alles in allem also ein sicherer Anwärter für den Preis des schlechtesten Vorentscheidungsbeitrags aller Zeiten und Länder. Doch RTVSLO machte die Rechnung ohne sein in jahrelanger Bevormundungsarbeit zur institutionellen Totalopposition erzogenes Publikum. Das nämlich wählte, nur um es dem Sender heimzuzahlen und der von ihr protegierten Raiven den Stinkefinger zu zeigen, im Superfinale mit 73% der Stimmen der Stimmen genau jenes Liedlein. Ein Akt zivilen Ungehorsams gewissermaßen, unter – anders lässt es sich nicht erklären – bewusster Inkaufnahme des nunmehr unvermeidlichen letzten Platzes im Semifinale zu Tel Aviv. Fairerweise muss man sagen: auch Raivens ‘Kaos’, eine Art brutalstmöglicher musikalischer Frontalangriff auf die Gehörnerven Europas, gegen den das letztjährige ‘Hvala, ne’ wie sanft schmeichelndes Easy Listening wirkt, hätte mit seinem vollständigen Verzicht auf einen als solchen wahrnehmbaren Refrain sicherlich keinen Blumentopf geholt, konnte aber wenigstens noch mit vier strunzgeilen, halbnackten männlichen Tänzern punkten.
Fraglos ein furchtbares ‘Kaos’: Raiven und ihre sexy tätowierten Tänzer.
Seufz: wo ist nur der Glanz früherer EMAs mit ihren fabelhaften Schlagerdiven geblieben? Das diesjährige Line-up enttäuschte auf ganzer Linie, allenfalls die beiden rockigen Stücke ‘Atma’ der Metal-Kapelle Inmate und ‘Lepote dna’ der Hairrocker von Lumberjack hoben sich durch ihr musikalisches Überraschungsmoment kurz aus dem Feld hervor, konnten die erzeugten Erwartungen jedoch nicht erfüllen. Immerhin ein einzelnes Trash-Highlight ließ dann doch noch einmal wehmütige Erinnerungen an frühere, bessere Zeiten wach werden: ein sehr offensichtlich sehr tragisch veranlagtes Bürschlein mit dem Namen René (den Familiennamen behielt er vermutlich aus Angst vor homophober Verfolgung für sich) gab nämlich einen zugegebenermaßen viertklassigen Discoschlager mit dem Titel ‘Ne poveš’ (‘Sag das nicht’) zum Besten. Und zwar angetan im einem herrlich futtig glitternden, lilafarbenen Paillettenanzug und flankiert von zwei kernigen Tänzern, mit denen er gemeinsam eine perfekt synchrone, unterhaltsame Choreografie hinlegte. Ein wenig irritierend lediglich, dass der Frontmann optisch mehrere Ligen unter seiner Begleitung spielte.
Eine zehn auf der Haldor-Lægreid-Skala: René.
Alles in allem also ein vertaner Abend mit einem wirklich katastrophalen Ergebnis. Vielleicht sollte sich der slowenische Sender künftig für reines Jury- oder reines Televoting entscheiden. Beides zusammen funktioniert in diesem Land nicht.
Ein Lob gebührt immerhin den Grafikern des slowenischen Senders für die ansprechende Gestaltung der Show (hier das komplette Finale). Schade, dass das an so ein fades musikalisches Feld verschwendet wurde.
Vorentscheid SI 2019
Evrovizijska Melodija (EMA). Samstag, 16. Februar 2019, aus dem RTV SLO-Fernsehstudio in Ljubljana. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Ajda Smrekar.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Televoting | Platz |
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01 | Kim | Rhythm back to you | – | – | – |
02 | Renata Mohorič | Three Bridges | – | – | – |
03 | René | Ne poveš | – | – | – |
04 | Fed Horses | Ti ne poznaš konjev | – | – | – |
05 | Ula Ložar | Fridays | – | – | – |
06 | Lumberjack | Lepote dna | – | – | – |
07 | Okustični | Metulji plešejo | – | – | – |
08 | Inmate | Atma | – | – | – |
09 | Zala Kralj + Gašper Šantl | Sebi | Q | 72.89% | 01 |
10 | Raiven | Kaos | Q | 27,11% | 02 |
Bedaure, ich hab mich über deren Sieg besonders gefreut. Nicht nur, weil es die Antithese zur stumpfen Bräsigkeit von Stig Rästas schwedischem Toyboy ist, sondern weil der Song eine nette Hommage an The xx ist und ich seit Blanche eine Schwäche für introvertierte Performer habe, die sich nicht den üblichen Posen unterwerfen wollen/können. Ich halte es für eine Bereicherung für Eurovision.
Tja, ob der Auftritt intim-berührend ist oder als Abschreckungsmaterial gegen den Konsum von dämpfenden Drogen dient, muss am Ende jeder Zuschauer/Zuhörer selbst entscheiden. Für mich ist der Song irgendwie beides.
Passt doch: Unspektakuläre Menschen mit unspektakulären Namen interpretieren unspektakulär ein unspektakuläres Lied über ihr unspektakuläres Selbst (laut Übersetzung). Nicht ganz stimmig ist, dass sie es mit anderen teilen wollen. Hätte nicht sein müssen.
So sehr ich auch deine Beurteilung der Ergebnisse des estnischen Finales teile, hier muss ich ganz entschieden widersprechen. Der letztliche Siegertitel hatte mich von Anfang an gepackt und ich habe mich über den Sieg riesig gefreut, weil ich ihn nicht erwartet hatte.
Und ich muss Dir uneingeschränkt zustimmen. Offensichtlich meinen immer mehr Länder, man müsse nur langweilig genug sein, um als “arty” durchzugehen. Alle hoffen dabei auf ein Calm after the storm Ereignis, aber es wird dann doch eher ein O Jardim werden.…
Hm, also mir gefällt dieser verträumte Elektrosound ganz gut. Mich wundert nur die Höhe des Sieges. Leider war Raiven viel zu anstrengend.
hmmm, bei meinem mann und mir ist diese ruhige popnummer ganz weit vorn – aber wir waren im letzten jahr auch große blanche-fans (bis zu ihrem leider völlig uninspiriertem auftritt…) und begeistert von dem völlig unerwarteten finaleinzug der “zasimaus” – dies hat doch irgendwie was von beiden. und wenn ich mich nicht gänzlich irre, schlug damals das herz des wunderbar bösartigen betrachters doch irgendwann auch im “teilnahmslos-verstörten” takt litauens… 😉
ich meinte natürlich gar nicht blanche, sondern den wüstensuchs – äh, also sennek…