Was täten Trashfans nur ohne Weißrussland? Jahr für Jahr schüttet der Sender BTRC sein scheinbar nie versiegendes Füllhorn an Unglaublichkeiten über uns aus, wenn er – wie vergangenen Montag Vormittag – zum Vorsingen für das Eurofest in sein Hauptstadtstudio lädt. Das entwickelt sich immer mehr zum internationalen Gipfeltreffen der Mühseligen und Beladenen: aus 16 Nationen trudelten insgesamt 113 Bewerbungen in Minsk ein. In Persona erschienen zur unsäglich frühen Stunde von 10 Uhr allerdings nur 73 Acts. So fehlte beispielsweise die rumänische Drama Queen Mihai Trăistariu, der sich aus Protest gegen eine nachträglich vergebene Wildcard mit großem Getöse vom heimischen Vorentscheid zurückgezogen hatte und nun für Lukaschenko singen wollte, krankheitsbedingt: der Meister lag mit der Grippe darnieder. Dafür tauchte in Minsk ein anderer Untoter der Grand-Prix-Geschichte leibhaftig auf: Daz Sampson! Der erst 44jährige ‘Teenage Life’-Sänger, der einem rein optisch eine Ahnung davon vermittelte, wie Dieter Bohlen wohl ohne das ganze Facelifting und Botox heute aussähe, reiste in Begleitung einer billig aufgebrezelten Pinkhaarigen an und gab einen ultratrashigen Kirmestechnoschlager namens ‘Kinky Boots’ zum Besten. Und man wusste beim Zuschauen nicht, ob man sich vor Fremdscham schütteln wollte oder vor Lachen.
He’s a dirty old Man: Schulmädchen-Liebhaber Daz Sampson.
Aus Spanien machte sich der verleugnete Zwillingsbruder des Operación Triunfo-Finalisten Carlos Right, Brian Left, leider ebenso umsonst auf den Weg, obwohl sein Beitrag ‘Stronger’ gar nicht mal zu den Schlechtesten zählte. Sehr viel größeren Langmut als in den vergangenen Jahren, wo man die Vorsingenden teils nach wenigen Sekunden mit einem barsch gebellten “Spasiba!” abwürgte, bewies heuer die unter anderem mit Alena Lanskaya und Teo besetzte Jury (oder bekam sie einfach sehr viel größere Gaben an Drogen?): alle 73 durften ihre Beiträge in voller Länge zu Gehör bringen. Wobei sich das in einzelnen Fällen auch schon mal hinziehen konnte, so wie bei der in einem schlecht sitzenden KiK-Dirndl auftretenden Volksmusiktante Tatjana Vajtovich und ihrem bedeutend jüngeren, bedeutend besser angezogenen Kompagnon Jurij Jaroshik. Denen hatten die Techniker nämlich ein funktionierendes und ein nicht funktionierendes Mikro gegeben, was Jurij, der ganz gentlemanhaft seinen intakten Singestab an Tatjana weiterreichte, nicht davon abhielt, seinen Text dann eben ins kaputte Teil zu murmeln. Erst am Ende der drei Minuten ging irgendwo jemand von der Leitung, und zum Ausgleich ließ man das Pärchen seinen patriotisch-zähen Schunkelschlager dann gleich ein zweites Mal präsentieren.
Noch nie dagewesene, bis heute für unmöglich gehaltene Aufnahmen präsentiert Ihnen unser Kamerateam heute: an der 3:30-Marke erleben Sie belarussisches Studiopublikum in frenetischer Schunkelextase!
Deutlich mehr Verve legte die in höchstem Maße tragisch veranlagte Discoschwuppe Vladimir Arutyunyan an den Tag, die mit ‘Everything will be’ die goldenen Siebziger wieder auferstehen ließ. So many Trash, so little Time: eine frappierende Mischung What-the-Fuck servierten der belarussische House-Produzent BLGN und sein nigerianischer Frontsänger Mirex. Musikalisch präsentierte sich ‘Champion’ als wirrer, ziellos dahinirrender Pop-Soul-Dance-Jazz-Mix, zudem sich der stattliche Mirex engagiert die Seele aus dem Leib sang, während BLGN im Hintergrund den energisch auf das Laptop tappenden DJ mimte. Allerdings, da das Budget des Senders mehr nicht hergab, nicht hinter einer Kanzel, sondern schmerzhaft vornübergebeugt über einem schäbigen Tischchen vom Restpostenmarkt. Kein Wunder, dass er sich unter einer in Windeseile aus einer Fetisch-Latexmaske und einem alten Schrubber notdürftig improvisierten Kopfverkleidung versteckte, um sich wenigstens noch ein bisschen Restwürde zu bewahren. Beziehungsweise auf der Straße nicht erkannt und offen ausgelacht zu werden.
Oh, Cesár hat aber ein bisschen zugelegt, kann das sein?
Eine ähnliche Strategie fuhr das russische Duo Heds (steht das für Köpfe oder für Heteros?), das sich hinter aus Pappmaché gefertigten Augenmasken aus dem Faschingsbedarfsfachgeschäft verbarg. Aus dem selben Laden muss auch die restliche Bühnengarderobe des heiser in gruseligem Englisch vor sich hin röchelnden Frontmanns stammen: in einer wallenden schwarzen Robe mit gigantischen Fledermausärmeln beseitigte er ein für alle mal jeglichen Zweifel an Batmans sexueller Orientierung. Für seine weibliche Begleitung, die stimmlich erst sehr spät ins Geschehen eingriff und sich die meiste Zeit dezent im Bühnenhintergrund herumdrückte, reichten die Garderobespesen dann nicht mehr: sie trat in einer unauffälligen Sweatshirt-Jeans-Kombi auf und überließ ihm so die volle Aufmerksamkeit. Soll ihm ja auch gegönnt sein, bevor es dann hoffentlich umgehend wieder zurück in die geschlossene Abteilung geht.
Mit ‘Loneliness’ kennt er sich sicher sehr gut aus.
Auch ohne jegliche Sprachkenntnisse lässt sich vermuten, dass es sich bei dem mit der Luftquetschn instrumentierten Turbofolkschlager ‘Potato aka Bulba’ des Herrenduos Soroka-Voroka um einen Spaßbeitrag handelte. Spaß machte es jedenfalls, den beiden schmucken Herren bei ihrem engagierten Schaukeltanz zuzuschauen. Sehr sehenswert ebenfalls der von den Beiden mit einem offensichtlich strikt begrenzten Budget direkt am Strand gedrehte Videoclip, der die von all zu großer Inhaltsschwere befreite Ballermanntauglichkeit der Nummer noch stärker unterstreicht. Um so bravouröser, dass es den Zweien gelang, ein bisschen von dem für den typischen Weißrussen eher unerreichbaren, internationalen Urlaubsflair sogar in das gleißend ausgeleuchtete BTRC-Studio zu retten, dessen Sterilität eine Glamourentfaltung ansonsten zuverlässig verhinderte. Selbst die Jury ließ sich zu einem anerkennenden “Bravo!” hinreißen – ins Eurofest-Finale wählte man den Vulva-Kartoffel-Song dennoch nicht weiter. Ein Skandal und bitterer Verlust für die Eurovisionswelt!
Ist die “Potato Acapulco”, von der die Zwei da als sangen, die weißrussische Variante der Pizza Hawaii?
Auf die blonde, twerkende Sandprinzessin könnte ich jetzt persönlich gerne verzichten (Videoclip).
Den absoluten Vogel jedoch schoss der schätzungsweise 75jährige Pavel Lashenchuk aus der Ukraine ab, der in seinem groben Rollkragen-Strickpulli und dem Drei-Euro-Sakko aus der 1975er Produktion des VEB Plaste und Elaste Schkeuditz aussah, als käme er gerade direkt von der Feldarbeit in der Kolchose Soljanka, das Ganze jedoch mit einer rot-weiß gestreiften Faschingsmütze modisch gewagt konterkarierte. Und der zunächst einmal eine knapp einmütige, knotterig vorgetragene Rede hielt, während ein Bühnentechniker noch um ihn herumwuselte. Dann spielte die Regie auch noch den falschen Backing Track ein, was ihn zu einem ausgesprochen putzigen kleinen Wutanfall veranlasste, der im Studio offenbar für große Heiterkeit sorgte, woraufhin er sogar den Einsatz zu seinem drolligen, lose an der Melodie von ‘Schnappi, das kleine Krokodil’ angelegten Discoschlager verpasste. Und obschon Pavel nochmal von vorne anfangen durfte, verhaspelte er sich fortfolgend in seinen drei Minuten permanent in seinem vom Blatt abgelesenen Text. Als er dann im Refrain anfing, fröhlich in die Kamera zu winken, wälzte ich mich zuhause mit einem Lachkrampf auf dem Fußboden. Von hier aus tausend Grüße und Küsse nach Minsk; ich schließe mit einem dreifach donnernden ‘I love Belarus’!
Der beste Azúcar-Moreno-Moment seit Azúcar Moreno!
also ich glaube ja fest daran, dass dieses Sammelsurium an Grausamkeiten vom deutschen Fernsehen eingefädelt wurde, denn wir sind ja da an allem Schuld *Sarkasmus aus . Verstehen Sie Spaß hatte bestimmt seine Finger drin. Mit Ohrbluten Garantie 😉
Ach ja, “Marianne und Michael” hatte ich ganz vergessen. Erst einen Tag später habe ich Pavel Lashenchuk entdeckt. Und Carla.…Carlos Costa, der eine Eleni Foureira pullt. Hach, die weißrussischen Auditions sind halt immer ein Ereignis.
.…wieder vergessen.…mein Hirn.…
Schade ja um das Zechbrüder-Duo oder Daz feat. Nona. Stattdessen kam so was ins Finale wie Michael “No nomen est omen” Soul.…