Bevor es mit dem bereits am Donnerstag startenden, nächsten Vorentscheidungs-Wochenende wieder in die maximale Überforderung geht, gilt es, noch zwei Semis vom vergangenen Samstag nachzureichen. In Portugal bot das traditionsreiche Festival da Canção, wie wir es von dem kleinen Land gewohnt sind, mal wieder eine frappierende Mischung aus völlig aus der Zeit gefallenen Musical-Nummern, lendenlahmen Schnarchballaden, abseitigem Ethnofolk und bizarren Darbietungen. Acht Acts kämpften am späten Abend um vier Finalplätze. Und leider erlaubten sich (genau weiß man es noch nicht, die Split-Voting-Ergebnisse hält der Sender RTP unter Verschluss) entweder das Publikum oder, deutlich wahrscheinlicher, die Jury beim Heraussieben einen massiven Missgriff: auf der Strecke blieben meine persönlichen Favoriten dieser Vorrunde, das bereits seit 1995 bestehende alternative Künstlerkollektiv Blasted Mechanism, das – nichts bräuchten wir dringender in diesen Tagen – zur ‘Rebellion’ aufrief. Und dies glaubwürdigkeitsfördernd in Bühnenkostümen, als kämen sie gerade vom Burning Man oder dem Boom Festival. Ihr Problem: bis zum ersten Refrain, der in seiner appellativen Schlichtheit durchaus als Demo-Slogan taugt, verging erst mal eine ganze lange Minute, gefüllt mit einem die Kampfkraft eher einschläfernden Genudel. So wird das nichts mit dem Krieg gegen die Paläste!
Mad Max trifft Robin Hood auf dem Goa-Festival: Blasted Mechanism.
Auch Schweden schwächelte: dort schleppte sich die vierte Vorrunde des Melodifestivalen zu Malmö lustlos und ohne jeden Höhepunkt dahin. Keiner der samt und sonders strunzfaden, ohne jeglichen Wiedererkennungswert vorbeiziehenden Wettbewerbsbeiträge verdient der Erwähnung, mit einer einzigen Ausnahme: das Mello-Urgestein Nanne Grönvall servierte mit ‘Carpool Karaōke’ einen selbst geschriebenen Schwedenschlager, der weniger durch seine mäßige musikalische Qualität überzeugte, dafür aber um so mehr durch die hoch energetische, beinahe schon eigenparodistisch wirkende Bühnenshow. Wie eine betrunkene ältere Tante, die bei der Hochzeitsfeier nachts um zwei im Vollrausch die Tanzfläche stürmt, so falsch wie laut herumgrölt und abhottet, als ob es kein Morgen mehr gäbe, so wirkte die 57jährige mit ihren weit aufgerissenen Augen und den Tonnen von falschem blonden Haar. Und es bereitete ein diebisches Vergnügen, ihr dabei zuzuschauen.
Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen: Nanne Grönvall.
Natürlich (seufz!) landete sie auf den hinteren Rängen, während der schleimige Schönling Victor Crone mit einem noch weiter verwässerten Aufguss seines letztjährigen, da schon todeslangweiligen estnischen Eurovisionsbeitrags ‘Storm’ und einer vollkommen ideenlos und dazu auch noch schlecht bei ‘Heroes’ abgekupferten Show trotz einer absolut halbherzigen Performance problemlos ins Finale einzog. Dabei mimte er sogar zu weiten Teilen des Refrains, um seine brüchige Stimme zu schonen, wie ein “Microphone only”-Mitschnitt bewies, bei dem zu Demonstrationszwecken das Playback heruntergeregelt wurde. Und nun handelt es sich bei Crone ganz sicher nicht um den ersten Mello-Teilnehmer, der sich die Arbeit vom (dort erlaubten) Tonband-Chor abnehmen lässt. Aber noch nie gab sich jemand dabei so wenig Mühe wie er, es wenigstens ansatzweise zu vertuschen. Welch ein unglaubliches Privileg es doch ist, ein weißer, heterosexueller Mann zu sein und alle Chancen anstrengungslos zugeschanzt zu bekommen!
Manche nennen es mogeln, andere Melodifestivalen: Victor Crone lächelte die Minderleistung tapfer weg.
Danke, Oliver, für diesem Beitrag und diese zwei Perlen.
“Rebellion” gefällt mir gerade wegen der verschleppten Spannung unglaublich gut. Und Nanne Grönvall ist der Brüller. Es erinnert mich ein wenig an krawallige, gewollt witzige Musical-Darbietungen ( Hairspray, Rocky Horror Show etc.) gemischt mit den Samtags- Fernsehshows meiner Jugend des ersten und zweiten deutschen Fernsehens. Da durften die Fernsehballet Uschis (♂ und ♀) es gerne mal richtig krachen lassen zu herrlichen Mitgröl-Schlagern. Und: hoch die Beinchen!! Tränen des Vergnügens tropfen in meine Phiole.…