Luna Ki zieht zurück: wie viel Voco­der ist okay?

Einer der Grün­de, war­um ich ein so gro­ßer Fan von Spa­ni­en beim Euro­vi­si­on Song Con­test bin, liegt in der nie­mals ver­sie­gen­den Fähig­keit der Iberer:innen, Dra­ma zu erzeu­gen. So auch aktu­ell wie­der: wie unter ande­rem Euro­voix unter Bezug­nah­me auf den Sen­der RTVE berich­tet, hat die Künst­le­rin Luna Ki ihre Teil­nah­me am die­se Woche statt­fin­den­den Beni­dorm Fest stor­niert, dem neu als Vor­ent­schei­dungs­for­mat auf­ge­leg­ten balea­ri­schen Lie­der­fes­ti­val. Angeb­lich ver­sto­ße ihr Bei­trag ‘Voy a mor­ir’ gegen die aktu­el­len EBU-Regeln, da die Sän­ge­rin mas­siv Auto­tu­ne ein­set­ze, was auf der gro­ßen Euro­vi­si­ons­büh­ne nicht erlaubt sei. Was aus mei­ner Sicht zwei Fra­gen auf­wirft. Näm­lich, ers­tens: war­um fällt das erst jetzt, ein paar Tage vor dem Event, jeman­dem auf? Gibt es beim spa­ni­schen Sen­der nie­man­den, der vor­her die Zuläs­sig­keit der Lied­vor­schlä­ge prüft? Und, zwei­tens: stimmt das über­haupt? Ver­bie­ten die EBU-Regeln tat­säch­lich die Auf­füh­rung von ‘Voy a mor­ir’ beim euro­päi­schen Wett­be­werb? Denn nach mei­nem Ver­ständ­nis dürf­te (oder zumin­dest soll­te) die Art und Wei­se, wie Luna Ki das Pro­gramm ein­setzt, auch beim Euro­vi­si­on Song Con­test legal sein.

Eine gera­de­zu iro­ni­sche Dop­pe­lung: auch wenn die­ser Clip bei You­tube als “Offi­ci­al Music Video” läuft, exis­tiert ein sol­ches aktu­ell nicht. Der Clip wur­de von Fans aus ande­ren Ki-Vide­os zusammengefügt.

In einem Tweet weist der in Hel­sin­ki leben­de Musik­jour­na­list Tobi­as Lars­son auf die oft­mals vor­han­de­ne Begriffs­ver­wir­rung rund um das Reiz­wort “Auto­tu­ne” hin, ein 1997 erfun­de­nes Pro­gramm, wel­ches die digi­ta­le Nach­be­ar­bei­tung von Stim­men ermög­licht und heu­te als Gat­tungs­be­griff auch für sämt­li­che Nach­fol­ger­pro­duk­te gilt, denn tat­säch­lich fin­det das ein Vier­tel­jahr­hun­dert alte Ori­gi­nal heut­zu­ta­ge kaum noch Ver­wen­dung. Dafür aber ist das digi­ta­le Glatt­zie­hen von schie­fen Tönen mitt­ler­wei­le zum Stan­dard gewor­den und kommt bei wirk­lich jeder Musik­pro­duk­ti­on zum Ein­satz. Und zwar nicht nur bei Stu­dio­auf­nah­men, son­dern auch bei Live-Auf­trit­ten, denn die neue­re Soft­ware kann auch in Echt­zeit aus Kat­zen­ge­sän­gen Annehm­ba­res zau­bern. Mög­li­cher­wei­se einer der Grün­de, war­um – zumin­dest für mei­ne Ohren – heu­ti­ge Pop­mu­sik so ein­tö­nig und aus­tausch­bar klingt. Und war­um die Live­auf­trit­te beim Euro­vi­si­on Song Con­test, wo die­se Art von digi­ta­ler Stimm­schmin­ke tat­säch­lich wei­ter­hin einem Ver­bot unter­liegt, manch­mal so erstaun­lich schlecht wir­ken. Die von den Schwe­den vor­an­ge­trie­be­ne, beim Fans bis heu­te umstrit­te­ne Zulas­sung von Hin­ter­grund­chö­ren aus der Kon­ser­ve muss inso­fern als Ver­such ver­stan­den wer­den, die immer stär­ker aus­ein­an­der­klaf­fen­de Lücke zwi­schen dem Grand Prix und dem ander­wei­tig gewohn­ten Indus­trie­stan­dard ein wenig zu schließen.

https://twitter.com/TobsonHelsinki/status/1485188056869183493

Vom “Cher-Effekt” zu Musi­cal­ver­fil­mun­gen: der You­tuber Side­ways schlägt einen sehr wei­ten the­ma­ti­schen Haken.

Wie das obi­ge US-ame­ri­ka­ni­sche Erklär­bär­vi­deo in epi­scher Brei­te dar­legt, ver­bin­den die meis­ten Men­schen mit dem Begriff Auto­tu­ne jedoch gar nicht das in mei­nen Augen frag­wür­di­ge, aber recht unauf­fäl­li­ge mas­sen­haf­te Stimm­schmin­ken, son­dern den “Cher-Effekt”, durch wel­chen die­se Tech­nik 1998 über­haupt erst welt­wei­te Bekannt­heit erlang­te. Die alters­lo­se Pop-Diva setz­te Auto­tu­ne näm­lich nicht bestim­mungs­ge­mäß ein, son­dern über­dreh­te absicht­lich den Reg­ler, wodurch eine robo­ter­haf­te, durch­aus reiz­vol­le Stimm­ver­frem­dung erreicht wur­de. Etwas also, für das man zuvor einen Voco­der benö­tig­te und einen klei­nen Plas­tik­schlauch in den Mund neh­men muss­te. Inter­es­san­ter­wei­se kam die­ser “Cher-Effekt” nur zwei Jah­re spä­ter auch beim Euro­vi­si­on Song Con­test zum Ein­satz, näm­lich im Sie­ger­ti­tel ‘Fly on the Wings of Love’ der Olsen Brot­hers. Und exakt die­ses Vocoder­ef­fek­tes, also der extre­men und deut­lich wahr­nehm­ba­ren Stimm­ver­zer­rung als bewuss­tes Stil­mit­tel, bedient sich auch Luna Ki, im Unter­schied zur Olsen­ban­de oder der ame­ri­ka­ni­sche Schwu­len­iko­ne jedoch nicht nur punk­tu­ell, son­dern durch­gän­gig. Wes­we­gen es mich ver­wun­dert, wenn dies nach den EBU-Sta­tu­ten wirk­lich ver­bo­ten sein sollte.

Gel­ten trotz Auto­tu­ne bizar­rer­wei­se als beson­ders authen­ti­sche ESC-Sie­ger: die däni­schen Pop-Rentner.

Zumal eine ech­te “Live”-Performance im puris­ti­schen Sin­ne, also die unver­fälsch­te Wie­der­ga­be der Töne, exakt so wie sie aus dem Mund der Interpret:innen kom­men, selbst beim größ­ten Musik­wett­be­werb der Welt die abso­lu­te Aus­nah­me dar­stellt. Auch hier kam schon immer die jeweils zum Zeit­punkt der Show best­ver­füg­ba­re Tech­nik zum Ein­satz, um ein mög­lichst ein­drucks­vol­les Ergeb­nis zu erzie­len. Sei­en dies Echo, Hall, Delay, simp­le Laut­stär­ken­er­hö­hung oder aber im Gegen­teil das Her­un­ter­re­geln des sicht­ba­ren Lead­sän­gers und Über­tö­nen durch – gege­be­nen­falls hin­ter der Büh­ne ver­steck­te – Chorist:innen. Nutzt man nun die­se tech­ni­schen Mit­tel nicht bloß zum Über­de­cken stimm­li­cher Schwä­chen, son­dern setzt sie krea­tiv ein, so wie damals Cher und heu­te Luna Ki, so spricht aus mei­ner Sicht abso­lut nichts dage­gen. Wes­we­gen es mir schwer fällt, an einen angeb­li­chen Regel­ver­stoß zu glau­ben. Und so macht bereits das Gerücht die Run­de, Frau Ki, die nach den Umfra­gen wohl nicht zu den hei­ßes­ten Siegesanwärter:innen beim Beni­dorm Fest zählt, habe ledig­lich einen Vor­wand gesucht, um gesichts­wah­rend einer dro­hen­den Nie­der­la­ge zu ent­ge­hen. Und für genau die­ses Dra­ma lie­be ich Spanien!

Sakis Rou­vas lässt die Bauch­mus­keln zucken, wäh­rend Alex Panayi den Song singt: auch das ist der ESC.

Was meinst Du: soll­te der Auto­tu­ne-Ein­satz beim ESC erlaubt sein?

View Results

Wird geladen ... Wird geladen …

5 Comments

  • Ich war noch nie ein gro­ßer Fan des Autotune.
    Wenn man sich die deut­schen Charts anhört wird bei unge­fähr 120 % der Songs die­ses Stil­mit­tel ange­wen­det und das Gan­ze wird zu einem kaum unter­scheid­ba­ren Einheitsbrei.
    Im Grun­de ist mir zwar egal, ob es nun zuge­las­sen ist oder nicht und „Fly on the Wings“ gefiel mir auch ohne Voco­der-Teil nicht, aber für mich ist der Ein­satz des Auto­tu­ne immer ein Songzer­stö­ren­des Stilmittel.

  • Nach­klapp: jetzt ist mir doch eine Aus­nah­me von der Regel ein­ge­fal­len und nein, „Belie­ve“ von Cher ist es nicht (den Song mag ich, aber halt nur die Tei­le ohne Autotune).
    Daft Punk haben ja bei vie­len ihrer Songs Auto­tu­ne ein­ge­setzt und bei denen fin­de ich das selt­sa­mer­wei­se nicht nur OK, son­dern rich­tig gut. Viel­leicht liegt es an dem beson­de­ren Stil­mix der Fran­zo­sen, die es ja nun lei­der nicht mehr gibt.

  • Auch ich kann Auto­tu­ne gene­rell nicht aus­ste­hen, weder zur Stimm­kor­rek­tur noch als künst­le­ri­schen Effekt. Die oben erwähn­ten Daft Punk oder Net­ta (oder frü­her Voco­der-Effek­te wie bei Gior­gio Moro­der) und eini­ge ande­re bestä­ti­gen aller­dings auch bei mir die Ausnahme.
    Des­halb fand ich auch das letzt­jäh­ri­ge San­re­mo Fes­ti­val recht ner­vig bis quä­lend, da da min­des­tens die Hälf­te der Songs auf die­se Art zer­pimpt wurden.

  • Da mir ein schlecht gesun­ge­ner guter Song alle­mal lie­ber ist als ein mit­tel­präch­ti­ger mit Ham­mer­stim­me ist mir das The­ma nicht so wichtig.
    Gene­rell bin ich für maxi­ma­le künst­le­ri­sche Frei­heit, also auch der Ein­satz von Voco­der-Effek­ten aller Art und Umfang.
    Die Live Pitch-cor­rec­tion ist aller­dings ein Armuts­zeug­nis und nimmt auch guten Sän­gern Cha­rak­ter in der Stim­me. Das wür­de ich daher nicht zulas­sen wollen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert