Tu bije ser­ce Euro­py 2022: Cry me a River

Zehn Teilnehmer:innen und sechs Star­gäs­te: das Ver­hält­nis von Wett­be­werbs­ti­teln zu Pau­sen­fül­lern beim dies­jäh­ri­gen pol­ni­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid Tu bije ser­ce Euro­py! erreich­te schon bei­na­he San-Remo-Niveau. Dabei war zunächst gar kei­ne öffent­li­che Aus­wahl geplant: eigent­lich woll­te sich der Sen­der TVP Geld und Auf­wand spa­ren und Anfang Janu­ar 2022 eine:n res­sour­cen­scho­nend intern gewählte:n Vertreter:in prä­sen­tie­ren. Doch dann konn­te das beauf­trag­te Komi­tee sich nicht eini­gen, und so stampf­te man in War­schau eben doch eine Show aus dem Boden. Und umrahm­te in sel­bi­ger jeweils zwei poten­ti­el­le Euro­vi­si­ons­bei­trä­ge mit einem Gast­auf­tritt, bei denen unter ande­rem ehe­ma­li­ge Euro­vi­si­ons­ver­tre­te­rin­nen wie Kasia Moś exzel­lent gemach­te Med­leys aus ihren dama­li­gen Lie­dern und Fremd­ti­teln san­gen, in ihrem Fall z.B. ‘Flash­light / My Num­ber One’. Fast schon ein Over­kill, denn die aktu­el­len Kon­kur­renz­lie­der muss­ten sich kei­nes­falls ver­ste­cken. In Polen kam dabei das Bes­te nicht wie sonst üblich zum Schluss, son­dern gleich zu Beginn: das zwan­zig­jäh­ri­ge ehe­ma­li­ge Boy­band-Büb­chen Jakub oder Kuba Szma­j­kow­ski prä­sen­tier­te im sexy-prol­li­gen Fein­ripp­un­ter­hemd und mit aus der Hose her­vor­lo­dern­den, aus Pap­pe gefer­tig­ten Flam­men den ast­rei­nen House-Ban­ger ‘Love­sick’.

He’s got a Fire down below: Kuba Szmajkowski.

Und damit hät­te man für mei­nen Geschmack den Abend an die­ser Stel­le abbre­chen und Kuba direkt nach Turin ent­sen­den kön­nen. Statt­des­sen folg­te die übli­che Mischung als jury­op­ti­mier­ten Bal­la­den wie dem rein mut­ter­sprach­li­chen ‘Dokąd?’ (‘Wohin?’) von Ania Byr­cyn oder ‘All I need’ von Mila sowie von sich an ein deut­lich jün­ge­res Ziel­pu­bli­kum als den Blog­be­trei­ber rich­ten­den, moder­nen Bol­ler­beat-Ban­gern wie dem ‘Dro­gows­ka­zy’ (‘Weg­wei­ser’) der Sio­stry Szlach­ta und dem drei­spra­chi­gen ‘Move’ von Karo­li­na Sta­nisław­c­zyk und Chi­ka Toro. Die bei­den Upt­em­po-Titel ein­te, dass sich jeweils zwei, wenn ich es freund­lich for­mu­lie­ren will, mehr oder min­der krass als Tab­le­dan­ce­rin­nen auf­ge­mach­te, zier­li­che jun­ge Frau­en von jeweils zwei sehr auf­dring­li­chen Frei­ern hart antan­zen las­sen muss­ten, wäh­rend die Ani­mier­schup­pen­mu­cke dazu dröhn­te. Auf­schrei! Als schon eher was fürs Herz ent­pupp­te sich der mit sehr, sehr sanf­ten Buko­vina-Sounds auf­war­ten­de, wie ich man­gels Sprach­kennt­nis­sen nur ver­mu­ten kann, Umwelt­schutz­song ‘Czys­ta Woda’ (‘Sau­be­res Was­ser’) der lieb­lich blu­men­be­schmück­ten Karo­li­na Lizer: viel zu harm­los zwar, um ernst­haft was zu rei­ßen, aber den­noch Bal­sam für die Ohren.

Don’t for­get to wear / Some Flowers in your Hair: Karo­li­na Lizer.

Voll­kom­men gegen die Wand fuhr die Wie­der­keh­re­rin Lidia Kop­a­nia ihren pas­send beti­tel­ten Song ‘Why does it hurt’, wie gefühlt die Hälf­te aller dies­jäh­ri­gen Vor­ent­schei­dungs­ti­tel euro­pa­weit aus der Klang­werk­statt der schwe­di­schen Pers­son-Schwes­tern. Lidia schien ihr Lied genau so wenig zu beha­gen wie den Zuhö­ren­den: sie blick­te aus­ge­spro­chen gequält drein, scann­te aus den Augen­win­keln nach mög­li­chen Flucht­we­gen und lie­fer­te eine stimm­li­che Per­for­mance ab, die gera­de so eben ein Mü über einer arbeits­recht­lich abmahn­ba­ren Total­ver­wei­ge­rung lag. Um die durch die Star­gast-Ein­la­gen ohne­hin bereits lan­ge Sen­dung noch wei­ter zu stre­cken und um zusätz­li­che Ein­nah­men aus dem Tele­vo­ting zu gene­rie­ren, führ­te TVP ein Super­fi­na­le mit den drei topp­lat­zier­ten Bei­trä­gen durch, die den ver­kün­de­ten Zwi­schen­stän­den zufol­ge bereits an die­ser Stel­le ins­ge­samt mehr als 80% der Stim­men der Zuschauer:innen und der Jury auf sich ver­ein­ten. Unter die­sen drei­en gab es mit ‘Głoś­niej niż Decy­be­le’ (‘Lau­ter als Dezi­bel’) des Pro­jek­tes Unmu­te einen super­span­nen­den EDM-Bei­trag, den ich eben­falls extrem ger­ne in Turin gese­hen hät­te. Doch natür­lich lan­de­te die­ser am Ende auf dem Bron­ze­trepp­chen. Wie hät­te es auch anders sein können?

Wie Sie hören, hören Sie nichts: Unmu­te “sin­gen” in Gebärdensprache.

Zum Ver­gleich: der Clip hat allei­ne durch die kon­stan­te Bewe­gung viel mehr Dri­ve. Und ist bass­las­ti­ger ausgesteuert.

Dabei hat­te ich mich bereits auf die Dis­kus­sio­nen mit den Lordsiegelbewahrer:innen der Euro­vi­si­ons­bi­bel gefreut: das selbst tau­be Quin­tett gebär­de­te den Text ihres unter zwei­mi­nü­ti­gen In-die-Fres­se-Bret­tes, so dass kei­ner­lei Gesang erklang. Nach buch­sta­ben­ge­treu­er Aus­le­gung der EBU-Regeln nicht erlaubt. Den­noch kaum vor­stell­bar, dass Genf die­sen Inklu­si­ons­bei­trag, der live aller­dings im Gegen­satz zum dazu­ge­hö­ri­gen Musik­vi­deo eini­ges von sei­ner mas­si­ven Wucht ein­büß­te, im Fal­le sei­nes Vor­ent­schei­dungs­siegs zurück­ge­wie­sen hät­te. Doch die­se Dis­kus­si­on bleibt nun hypo­the­tisch, denn statt­des­sen gewann mit mehr als der Hälf­te aller Stim­men der in den USA gebo­re­ne und auf­ge­wach­se­ne The-Voice-Pol­and-Sie­ger Krys­ti­an Och­man, der bereits vor­ab in sämt­li­chen Fan-Polls haus­hoch führ­te. Zu mei­nem Unver­ständ­nis übri­gens: sei­ne dun­kel tim­brier­te Kla­vier­bal­la­de ‘Rivers’ mag hand­werk­lich hoch­wer­tig gemacht und tadel­los gesun­gen sein, inklu­si­ve der heut­zu­ta­ge gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Fal­sett­ein­la­gen. Er erreicht mich aber so gar kein biss­chen. Polens Bei­trag ist den­noch kei­ne ESC-Pin­kel­pau­se, dafür ist Krys­ti­an zu hübsch anzu­schau­en, und ich muss die Num­mer auch nicht vor­skip­pen. Aber ins­ge­samt ist mir der Titel, auch wenn ich damit vie­le Leser:innen ent­täu­schen mag, voll­kom­men egal.

Sei­ne Was­ser flie­ßen seicht und schnell: den meis­ten Ein­druck hin­ter­las­sen auf mich Krys­ti­ans bild­schö­ne Ohren.

Vor­ent­scheid PL 2022

Tu bije ser­ce Euro­py! Sams­tag, 19. Febru­ar 2022, aus den TVP-Stu­di­os in War­schau, Polen. Zehn Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Rafał Brzo­zow­ski, Ida Nowa­kows­ka, Mał­gorza­ta Toma­szews­ka. Fünf­köp­fi­ge Jury (50%) und Tele­vo­ting (50%) mit Superfinale.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­teSuperPlatz
01Kuba Szma­j­kow­skiLove­sick4%04
02Ania Byr­cynDokąd?3%06
03Sio­stry SzlachtaDro­gows­ka­zy3%07
04Lidia Kopia­naWhy does it hurt1%10
05Karo­li­na Sta­nisław­c­zyk + Chi­ka ToroMove2%08
06Karo­li­na LizerCzys­ta Woda3%05
07Unmu­teGłoś­niej niż decybelen.b.10%03
08MilaAll I need1%09
09Och­manRivern.b.51%01
10Daria Mar­cin­kows­kaPara­noian.b.39%02

 

Was sagst Du? Schafft Polen mit Och­man den Finaleinzug?

  • Eh. Das spielt sogar um die Top Fünf mit. Wun­der­schö­ne Bal­la­de, wun­der­schö­ne Stim­me, wun­der­schö­ner Sän­ger. Hach hach hach. (57%, 4 Votes)
  • Für den Final­ein­zug wer­den schon die Jurys sor­gen. Wo das da lan­det, steht auf einem ande­ren Blatt. (43%, 3 Votes)
  • Sor­ry, mir schla­fen da die Füße ein. Kei­ne Chan­ce. (0%, 0 Votes)
  • Die Num­mer ist so was von egal. Viel wich­ti­ger: die ver­pass­te Chan­ce um das Gebär­den­spra­chen­lied. (0%, 0 Votes)

Total Voters: 7

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1 Comment

  • Ach ja, der Och­man. Es ist zwar irgend­wie lobens­wert gewe­sen, dass Polen sich für Turin ein etwas ande­res Sta­ging ein­fal­len haben las­sen, aber wirk­lich pro­fi­tiert hat man davon nicht. Weni­ger wäre mehr gewe­sen. Ich fand zwar sei­ne Bal­la­de nach den Stü­cken aus Schwe­den, der Nie­der­lan­de und Ita­li­en noch am bes­ten, aber ganz ehr­lich: Dat Ding ist nach dem ers­ten Refrain aus­er­zählt und der Rest ist nur dazu da, um die Jury mit Stimm­akro­ba­tik abzu­ho­len, was selt­sa­mer­wei­se nicht geklappt hat. Was muss Polen denn noch machen, damit es mal bei den Jurys klappt? Hät­te Polen trotz­dem irgend­wie die Top 10 gegönnt. Bes­ser als die­se nor­we­gi­schen Wöl­fe ist der Typ alle­mal gewesen!

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