Con­cours Euro­vi­si­on 1984: Wie malt man Hun­ger und die Not?

Ein quä­len­des, sto­ckend insze­nier­tes Trau­er­spiel, das war der vom ita­lie­nisch­spra­chi­gen Fern­se­hen der Schweiz ver­ant­wor­te­te Con­cor­so Euro­vi­sio­ne 1984. So galt es, auf einer grell aus­ge­strahl­ten Büh­ne von pas­tell­far­be­ner, tal­mi­haf­ter Häss­lich­keit unter ande­rem eine erzür­nend min­der­wer­ti­ge Alba­no & Romi­na Power-Kopie zu erdul­den und uns wie bei besag­tem Italo-Pär­chen zu wun­dern, wie um alles in der Welt der auf einer zehn­stu­fi­gen Attrak­ti­vi­täts­ska­la bes­ten­falls als 3 zu ver­bu­chen­de Gio­ca­mo Milo jemals eine Frau wie Pina (7) bezir­zen konn­te? Bei­na­he Mit­leid bekam man hin­ge­gen mit dem vor­mals in einer Ber­ner Beat­schla­ger­ka­pel­le behei­ma­te­ten und ab der Jahr­tau­send­wen­de in die volks­tü­meln­de Schla­ger­höl­le wech­seln­den Andy Lütolf, der zum Auf­takt sei­nes ärm­li­chen Rohr­kre­pie­rers ‘Musi­ca’ zunächst einer im blass­blau­en Sei­den­nacht­hemd her­um­sit­zen­den Dame eine Rose über­reich­te. Deren Knast­tat­too, die ihre Trä­ge­rin als Mör­de­rin ver­ra­ten­de Trä­ne unter dem Auge, schüch­ter­te das zar­te Jün­gel­chen jedoch ver­ständ­li­cher­wei­se so sehr ein, dass er sich drei Minu­ten kaum wag­te, die Stim­me zu erhe­ben: mehr als ein kaum wahr­nehm­ba­res Wis­pern war ihm nicht zu entlocken.

Das ist selbst als Abklatsch nur so halb & halb (see what I did the­re?): die rei­che Carol.

Erin­nern Sie sich noch an den im Jah­re 1981 wirk­lich unent­rinn­ba­ren, euro­pa­wei­ten Smash­hit ‘Japa­ne­se Boy’ von Aneka, die­sem weg­wei­sen­den Früh­werk der Euro­dis­co? Nun, Carol Rich (bür­ger­lich: Anne-Lyse Cail­le) bezie­hungs­wei­se ihr Song­schrei­ber Jean-Jac­ques Egli tat das auf jeden Fall und schob hier mit ihrem ‘Tokio Boy’ mit drei­jäh­ri­ger Ver­spä­tung – für Grand-Prix-Ver­hält­nis­se also aus­ge­spro­chen zeit­nah – einen extrem bil­li­gen und ideen­lo­sen Nach­zie­her hin­ter­her. Über die kul­tu­rel­le Aneig­nung der im roten Kimo­no per­for­men­den Blon­di­ne wol­len wir mal gnä­dig hin­weg­se­hen, ein ent­spre­chen­des Pro­blem­be­wusst­sein gab es damals ein­fach noch nicht. Die ehe­ma­li­ge Euro­vi­si­ons­ver­tre­te­rin Arlet­te Zola, in deren im hei­mat­li­chen Wohn­zim­mer gedreh­ten Vor­stel­lungs­vi­deo ihr dama­li­ger ESC-Auf­tritt ganz unei­tel im wie zufäl­lig ein­ge­schal­te­ten Fern­se­her lief, ver­such­te es heu­er mit der extrem dick auf­tra­gen­den, extrem alt­mo­di­schen fran­ko­phi­len Bal­la­de ‘Empor­te-moi’. Im Gegen­satz zu ihrer Zehn­tau­send-Schrit­te-Per­for­mance von 1982 beweg­te sie sich dies­mal aller­dings über­haupt nicht von der Stel­le, ließ auch die Arme in einem merk­wür­di­gen Win­kel ein­frie­ren und wirk­te wie zur Salz­säu­le erstarrt.

Die von TSI zum Zwe­cke der Tou­ris­mus­wer­bung rund um den Luga­ner See gedreh­ten und mit klim­pe­rig-seich­ten Instru­men­tal­ver­sio­nen der Songs unter­leg­ten Vor­stel­lungs­clips raub­ten einem den letz­ten Lebens­wil­len (gan­ze Show am Stück).

Wo die Lie­der sind’ frug die Rück­keh­re­rin Manue­la Feli­ce, und das ließ sich sicher­lich beant­wor­ten mit: nicht bei die­sem Vor­ent­scheid! Jeden­falls nicht die erträg­li­chen. Als “bey­ond awful” kri­ti­siert ein Grand-Prix-Fan die musi­ka­li­sche War­te­schlei­fen­num­mer im You­tube-Kom­men­tar, und ich muss ihm lei­der zustim­men. Dass Manue­la dafür im Publi­kums­vo­ting zwei Mal die Höchst­wer­tung erhielt, näm­lich aus dem Tes­sin und der Roman­die, kann ich mir nur so erklä­ren, dass die­se Bevöl­ke­rungs­tei­le den Grand Prix prak­tisch von innen her­aus zer­stö­ren und hier­für ganz bewusst eine beson­ders scheuß­li­che Num­mer schi­cken woll­ten. Frau Feli­ce sang übri­gens tat­säch­lich in Luxem­burg, aller­dings nur als Cho­ris­tin. Um die schlimms­ten Aus­wüch­se des schlech­ten Zuschauer:innengeschmacks abzu­mil­dern, ver­kom­pli­zier­te der Sen­der die in der Schweiz ja tra­di­tio­nell bereits hoch­dif­fi­zi­le Abstim­mung sogar noch um eine wei­te­re Eska­la­ti­ons­stu­fe: nach der wie bis­her erfolg­ten, getrenn­ten Abfra­ge aller Publi­kums­vo­ten in den drei Sprach­ge­bie­ten bil­de­te man aus den natür­lich von Regi­on zu Regi­on unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen ein neu­es Gesamt­vo­ting und zähl­te dann erst die Stim­men der Pres­se­ju­ry und der Sen­der­ju­ry hinzu.

Zum schnel­len Durch­skip­pen: die Play­list mit den ver­füg­ba­ren Songs und dem instru­men­ta­len Schnelldurchlauf.

Womit sich en pas­sant der Publi­kums­ein­fluss von 60 auf 33% fast hal­bier­te. Mach­te am Ende kei­nen wesent­li­chen Unter­schied: auch nach dem alten Ver­fah­ren ohne die­sen über­flüs­si­gen und in den nach­fol­gen­den Jahr­gän­gen wie­der gestri­che­nen Zwi­schen­schritt hät­te der vom deut­schen Seri­en­song­schrei­ber Gün­ter Loo­se als eines sei­ner letz­ten Wer­ke zum Ende einer rund 3.000 Titel umfas­sen­den, drei­ßig­jäh­ri­gen Kom­po­nis­ten­kar­rie­re bei­gesteu­er­te, lei­der nicht nur vom Song­tem­po her viel zu lah­me Betrof­fen­heits­schla­ger ‘Wel­che Far­be hat der Son­nen­schein’ der drei­köp­fi­gen Retor­ten­kap­pel­le Rai­ny Day gewon­nen, des­sen abgrund­schlech­ter Text so schein­phi­lo­so­phi­sche wie inhalt­lich sinn­lo­se Fra­gen ver­han­del­te wie “wel­che Far­be hat der Krieg”? Inter­es­sier­te euro­pa­weit nie­man­den: die hand­werk­lich schlech­te Peter, Sue & Marc-Kopie lan­de­te in Luxem­burg auf einem abge­schla­ge­nen 16. Rang. 1987 lös­te sich das Trio nach einer wei­te­ren, dies­mal erfolg­lo­sen Con­cours-Teil­nah­me auf, der Sän­ger Frank Mül­ler – der mit dem kan­ti­gen Schnau­zer – starb kur­ze Zeit spä­ter an den Fol­gen von Aids. Die weib­li­che Stim­me, Rose Ren­gel, ist heu­te in einer Skiff­le-Band aktiv.

Wie will man an einem Regen­tag wis­sen, wel­che Far­be der Son­nen­schein hat? Denkt doch mal nach, bevor ihr den Mund auf­macht, Rai­ny Day!

Vor­ent­scheid CH 1984

Con­cours Euro­vi­si­on. Sams­tag, 4. Febru­ar 1984, aus dem RTSI-Stu­dio in Luga­no. Neun Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Ezio Gui­di und Nata­scha Gil­ler. Drei regio­na­le Publi­kums­ju­rys (je 11%), Pres­se­ju­ry (33%), Sen­der­ju­ry (33%).
#Inter­pre­tenSong­ti­telPubli­kumPres­seJuryPunk­tePlatz
01Nan­do Moran­di + Mau­ro MontiLibe­ri0408051705
02Andy LütolfMusi­ca0707011506
03Milo & PinaPic­co­lo sarà0102020509
04Mar­tin Richard Trio(Je veux) viv­re d’Amour0303030908
05Carol RichTokyo-Boy0501071307
06Manue­la FeliceWo die Lie­der sind1004041803
07Kryp­tonPer te0210082002
08Arlet­te ZolaEmpor­te-moi0606061804
09Rai­ny DayWel­che Far­be hat der Sonnenschein0806102401

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 24.05.2023

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