Schicht im Schacht: nach den blamablen Eurovisionsergebnissen der Vorjahre, durchgängig schlechter Presse und kaum noch messbaren Einschaltquoten verlor die ARD erkennbar die Lust am Grand Prix. Eine kostspielige und kritikträchtige öffentliche Vorentscheidung sparte man sich daher. Stattdessen gab die seinerzeit verantwortliche Zonenanstalt MDR, vermutlich unter tatkräftiger Mithilfe des Schwestersenders Bayerischer Rundfunk, den in den Achtzigerjahren sehr erfolgreichen Deutschpoppern von der Münchener Freiheit (‘Ohne Dich [schlaf ich heut’ Nacht nicht ein]’) die Gelegenheit, sich mit einer Eurovisionsteilnahme ihr eigenes Grab zu schaufeln. Die Band um Mastermind Stefan Zauner gehörte zu den wenigen Überlebenden des Popphänomentsunamis der Neuen Deutschen Welle, in deren späten Ausläufern sie zunächst mit zeitgemäß synthielastigen New-Wave-Sounds (‘Ich steh’ auf Licht’) mitschwimmen konnte. Nach dem Ende des kurzlebigen NDW-Hypes gelang es ihr, sich mit einem eigenständig-unverwechselbaren Mix aus augenzwinkernd koketten Texten (“In seidigen Blusen / der Stadtmedusen / so luftig, dass ein Hauch sie hebt / entstehen Lücken / wenn sie sich bücken / ich spüre, wie es in mir bebt”) und harmoniestarken, im Laufe der Jahre immer orchestral-pompöser ausfallenden Melodiebögen eine breite Fanbasis zu erarbeiten.
‘So heiß’ fanden die Jungs vor allem sich selbst: niemand in der deutschen Popgeschichte toppte jemals den selbstverliebten Schlafzimmerblick des blonden Gitarristen Aaron Strobel (Repertoirebeispiel).
Doch nach einer Reihe von Top-Hits mit schlüpfrigen Höschenstürmern wie ‘Tausendmal Du’ oder dem klebrigen ‘So lang man Träume noch leben kann’ (ein Titel wie direkt aus der Klischeefabrik von Bernd Meinunger) schien ihr Verfallsdatum so langsam abgelaufen. Zwar zeigten sie sich mit ihrem 1988er Klimawandel-Schlager ‘So heiß (dass alles verbrennt)’, der knapp drei Dekaden später in einer Coverversion als Titelmusik einer trashigen RTL-2-Show Wiederauferstehung feiern sollte, damals ihrer Zeit seherisch weit voraus. Dennoch mussten sie mittlerweile zunehmend mit den unteren Charträngen Vorlieb nehmen. Lediglich ihre im Vorjahr veröffentliche, vom ehemaligen Neue-Deutsche-Welle-Surfer Hubert Kah geschriebene Single ‘Liebe auf den ersten Blick’ konnte als Titelmelodie einer zügig wieder abgesetzten, gleichnamigen ZDF-Kuppelshow mit der SWF-3-Moderationslegende Elmar Hörig noch ein allerletztes Mal die Top 20 knacken, danach ging es jedoch erneut auf rasante Talfahrt. Und so griffen die Münchener dankbar für die Grand-Prix-Chance zu. Doch ‘Viel zu weit’ am Eurovisions-Sieg vorbei, nämlich auf dem achtzehnten Rang, verendete ihr weinerliches, violinsattes Liedchen. Ebenso wie (auf #53 in den Singlecharts) ihre weitere Karriere.
Weißes Rauschen und Genuschel: die Münchener Freiheit.
Deutsche Vorentscheidung 1993
Meine Show. 15. April 1993, Sendestudio des MDR, Leipzig. Ein Teilnehmer, Moderation: Dagmar Frederik (Songvorstellung im Rahmen der TV-Show).
Letzte Aktualisierung: 08.11.2022
Live singen Ich war in den 80ern mal ein großer Fan der Münchner Freiheit, bis ich sie während einer Tournee live erleben durfte. Von Anfang an kam mir etwas seltsam vor und ich wußte, irgendwas stimmt nicht. Beim Lied Nr. 4 wurde es mir plötzlich klar: Das ganze Konzert war Vollplayback. Danach war die Band für mich gestorben, schließlich hatte ich für ein Live-Konzert ein Haufen Geld bezahlt und fühlte mich betrogen. Ihr ESC-Auftritt konnte daher nur ein Fiasko werden, da muß man halt live singen.