Nach sechs Jahren interner Eurovisionsentscheide mit überwiegend nicht sehr überzeugenden Ergebnissen entschied sich das mazedonische Fernsehen MRT, die Verantwortung für das vorhersehbare Ausscheiden im Semifinale in diesem Jahr wieder den Zuschauer:innen in die Schuhe schieben zu wollen, handelte dabei aber nicht sehr konsequent. Kostenbewusst wählte man in Skopje das preiswerte und aufwandarme tschechische Auswahlverfahren, stellte sechs potentielle Beiträge in Form von billig zu produzierenden Lyric-Videos ins Netz und ließ das heimische Publikum eine Woche lang online darüber abstimmen. Etwas mehr als 30.000 Stimmen kamen zusammen, und deutlich über ein Drittel davon entfielen auf den Titel ‘Superman’ von Viktor Apostolovski, einem musikalisch stark an den nervtötenden Jambahöllen-Klingelton ‘Crazy Frog’ erinnernden, bollernden Elektro-Partytrack, dessen vor Chauvinismus nur so strotzender Songtext allerdings so viele rote Flaggen enthält, dass man damit eine komplette Straight-Pride-Parade ausstatten könnte. Und damit ist nicht der klassische “Fire-Desire”-Reim gemeint, sondern Zeilen wie “I can fight with your Father, I can be with your Mother” oder “ ‘Cause I’m a Superman / and I’m your only Fan”. An welche Herzensdame sich Viktors Liebeswerben auch immer richtet, man kann ihr nur den Tipp geben: renn, Mädchen, renn!
Lässt in der Kategorie “Schmieriger Machozwerg” den bisherigen Preisträger, unseren belarussischen Käsekuchenmann Teo, alt aussehen: Viktor Apostolovski.
Dass diese nur oberflächlich augenzwinkernde Zelebration toxischer Männlichkeit im Jahre 2022 auf internationalem Parkett womöglich als problematisch empfunden werden könnte, fiel auch dem mazedonischen Fernsehen auf, und so installierte es flugs eine fünfköpfige internationale Jury, übrigens unter Mitwirkung des isländischen Delegationsleiters Felix Bergsson, den wir aus gleicher Tätigkeit noch vom spanischen Benidorm Fest kennen. Der kernige, offen schwule Isländer setzte Viktor auf seinen persönlichen letzten Platz; insgesamt rangierte das Machwerk bei den Juror:innen auf Rang 3. Womit sich bei der gestrigen Ergebnisverkündigung ein klassisches Patt ergab, denn die Juryfavoritin Andrea Koevska erhielt für ihre sterbensöde Midtempoballade ‘Circles’ von den heimischen Zuschauer:innen gerade mal ein Drittel so viele Stimmen wie der Apostel des Machotums und landete in der Publikumsabstimmung noch hinter der Konkurrentin Kaly (bürgerlich: Kalina Velkovska) und ihrem Beitrag ‘Love and Light’, der seine völlige Ideenlosigkeit unter massiver Lautstärke begrub, auf dem dritten Platz. Vorsichtshalber jedoch hatte MRT vorab bestimmt, dass in diesem Fall das Plazet der Jury Vorrang über dem des Plebs genießt, so dass in Turin nun Frau Koevksa das sichere Semifinal-Aus ersingen darf.
Das musikalische Äquivalent trocknender Wandfarbe: Andrea dreht sich im Kreis.
Denn der einzige Impuls, den ‘Circles’ auslöst, ist das Verlangen, die Skip-Taste zu drücken. Der Fairness halber muss allerdings gesagt sein: dies gilt bis auf den ‘Superman’ für sämtliche (allesamt englischsprachigen) mazedonischen Vorentscheidungsbeiträge dieses Jahrgangs, die egaler nicht sein konnten. Insofern erscheint es nur konsequent, dass wir die Lieder im Rahmen der etwas über einstündigen TV-Show Za Evrosong erst gar nicht zu Gehör bekamen, sondern die Zeit stattdessen für Geplauder mit den im Studio anwesenden Interpret:innen und ihren Komponist:innen sowie für Gastauftritte von Tamara Todesvka, deren etliche Douze Points von den Jurys beim Eurovision Song Contest 2019 im Einspieler breiten Raum fanden, während man den niederschmetternden zwölften Platz im Zuschauer:innenranking galant übersprang, und den heimischen Vertreter:innen beim Junior-ESC verplempert wurde. Andrea Koevska, die vom Sender nun die stolze Summe von 2.000 € zum Aufpimpen ihres Beitrags für Turin zur Verfügung gestellt bekommt, durfte immerhin ganz am Ende zu dem auf der Videoleinwand einspielten und von ihr mit getexteten Song drei Minuten lang synchron die Lippen bewegen. You got Style, MRT!
Alle Kosten und Mühen gescheut: der mazedonische Vorentscheid.
Lustige Anekdote am Rande: aufgrund einer falschen Zeitangabe versammelte ich mich zunächst eine Stunde zu früh vor dem mazedonischen Internetstream, wo jedoch noch eine Sendung lief, in der alte Männer in einer Gartenschänke Rotwein tranken, während eine Roma-Kapelle aufspielte. Und, ganz ehrlich: die würde ich deutlich lieber in Turin sehen!
I was beginning to wonder. I was too afraid to lose another song about wine in a national selection. #ZaEvrosong https://t.co/ZzWBxsKRO6 pic.twitter.com/dx5c8ZlT6h
— Pif Paf Blog (@ESCPifPaf) February 4, 2022
Vorentscheid MK 2022
Za Evrosong. Freitag, 4. Februar 2022 aus den MRT-Studios in Skopje. Sechs Teilnehmer:innen. Moderation: n.b. Jury (50%) und Onlinevoting (50%).Interpreten | Songtitel | Jury | Televote | Platz |
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Andrea Koevska | Circles | 12 | 4.300 | 01 |
Kaly | Love and Light | 06 | 7.539 | 03 |
Lara Ivanova | Flowers of Sorrow | 10 | 1.186 | 04 |
Ris Flowers | Flying to Berlin | 05 | 1.367 | 06 |
Victor Apostolovski | Superman | 08 | 12.621 | 02 |
Yon Idy | Dreams | 07 | 3.734 | 05 |
Zuletzt aktualisiert: 05.02.2022
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Sehr schöne Überschrift mal wieder!
Ich finde es witzig, dass diese Zelebration auf internationalem Parkett trotzdem durchgeführt wurde. Toxische Männlichkeit ist heutzutage ja ein sehr beliebtes Thema. Ich werde mir das mal genauer anschauen.