Bel­gi­scher Vor­ent­scheid 1967: Wer Sor­gen hat, hat auch Likör

Es wur­de mit har­ten Ban­da­gen gefoch­ten beim bel­gi­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid von 1967, der nach 1963 das zwei­te Mal unter dem (von einer Sen­de­rei­he der ita­lie­ni­schen Rai geklau­ten) Rubrum Can­zo­nis­si­ma statt­fand und sich über sagen­haf­te zehn Run­den hin­zog. Zehn Teilnehmer:innen gin­gen ins Ren­nen, die jede Woche neue Songs erhiel­ten. Zusätz­lich kam die per Jury ermit­tel­te Top 3 jedes Semis jeweils eine Run­de wei­ter und muss­te sich dort erneut der Kon­kur­renz stel­len – nur, wer es drei Mal hin­ter­ein­an­der aufs Sie­ger­trepp­chen schaff­te, durf­te ins Fina­le ein­zie­hen. Ein bru­ta­les Ren­nen, und so nimmt es nicht Wun­der, dass sich die Kombattant:innen gegen­sei­tig ein Bein stell­ten, wo sie nur konn­ten. Als Waf­fe dien­te hier­bei die Drei-Minu­ten-Regel: schon in der ers­ten Vor­run­de setz­te sich einer der betei­lig­ten Kom­po­nis­ten mit der Stopp­uhr hin und ermit­tel­te, dass zwei der kon­kur­rie­ren­den Lie­der die von der EBU erlas­se­ne Lied­län­gen­ober­gren­zen­ver­ord­nung gering­fü­gig über­tra­ten. Was zwar am lah­men BRT-Orches­ter lag, das bei der musi­ka­li­schen Beglei­tung bum­mel­te. Den­noch flo­gen die inkri­mi­nier­ten Titel raus. Der Inter­pret Ron­ny Tem­mer über­zog in der drit­ten Run­de zwar auch, konn­te aber nicht dis­qua­li­fi­ziert wer­den, weil er eine ent­spre­chen­de schrift­li­che Zusatz­ver­ein­ba­rung nicht unter­schrie­ben hat­te. Clever!

Mit dem Schmachtrie­men von der ‘Ran­ken­den Rose’ schaff­te es Jean-Pierre De Tem­mer­man ali­as Ron­ny Tem­mer ins Can­zo­nis­si­ma-Fina­le. Es soll­te sein bekann­tes­tes Lied bleiben.

Die als Gil­ber­te Ver­schae­ren gebo­re­ne Künst­le­rin Kalin­ka wur­de zum Opfer rabia­ter Fan­clubs: zwar hat­te der flä­mi­sche Sen­der BRT auf Wunsch der Kom­bat­tan­ten die 1963 noch prak­ti­zier­te Publi­kums­wer­tung mit­tels Applau­so­me­ter gestri­chen, weil die­se sich anfäl­lig für Mani­pu­la­tio­nen zeig­te. Den­noch füll­ten die betei­lig­ten Plat­ten­fir­men das Ame­ri­ka­ni­sche Thea­ter in Brüs­sel, wo der Vor­ent­scheid statt­fand, Woche für Woche mit orga­ni­sier­ten Fan-Hor­den. Und die buh­ten und pro­tes­tier­ten ger­ne auch mal laut­stark, wenn die Jury ihnen nicht geneh­me Ent­schei­dun­gen fäll­te. So gewann die Gos­pel- und Pop­sän­ge­rin zwar die fünf­te Vor­run­de, wur­de aber vom Saal­pu­bli­kum mit einem der­art gel­len­den Pfeif­kon­zert emp­fan­gen, dass an eine Sie­ger­re­pri­se nicht zu den­ken war. Für das Can­zo­nis­si­ma-Fina­le enga­gier­te BRT die bereits intern bestimm­te nie­der­län­di­sche Ver­tre­te­rin Thé­rè­se Stein­metz als Star­gast. Ihr Auf­tritt erwies sich als hoch will­kom­me­ner Weck­ruf, nach­dem man die Zuschauer:innen zum Auf­takt der Show mit rein instru­men­ta­len Ver­sio­nen aller sie­ben Final­ti­tel ins Koma gelang­weilt hat­te. Ursprüng­lich hat­ten es zwar acht Lie­der in die End­run­de geschafft. Doch der Schla­ger­sän­ger Lud­wig “Lou­is Neefs, dem es – wie auch besag­ter Kalin­ka – gelang, gleich zwei sei­ner Bei­trä­ge durch­zu­brin­gen, zog einen sei­ner Titel frei­wil­lig zurück, um einen Stim­men­split zu vermeiden.

Es ist ein Brauch von alters her: wer Zor­gen hat, hat auch Likör: Lou­is Neefs in Wien.

Das erwies sich als gold­rich­ti­ge Stra­te­gie: für sei­nen süf­fi­gen Klatsch­fal­len­schla­ger ‘Ik heb Zor­gen’ konn­ten sich elf der 15 abstim­mungs­be­rech­tig­ten und über jeweils nur eine Vote ver­fü­gen­den Juro­ren erwär­men. Kalin­ka hin­ge­gen ging mit bei­den Lie­dern punk­te­frei aus. Auch Rita Den­eve erhielt für ‘De eers­te Kus’ nicht eine ein­zi­ge Stim­me. Die ins­ge­samt drei Mal erfolg­los am bel­gi­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­scheid teil­neh­men­de Sän­ge­rin gestal­te­te dar­auf­hin das The­ma ein biss­chen expli­zi­ter und mach­te aus dem ers­ten Kuss ‘De aller­e­ers­te Keer’. Mit die­sem Lied über ihre Ent­jung­fe­rung lan­de­te sie 1971 einen Num­mer-Eins-Hit im Hei­mat­land. Herr Neefs hin­ge­gen durf­te 1969 für den flä­mi­schen Sen­der BRT gleich noch mal ran, dies­mal, ohne sich einer Kon­kur­renz stel­len zu müs­sen. Mit dem nicht min­der ein­gän­gi­gen ‘Jen­ni­fer Jen­nings’ mach­te er beim Con­test, wie bereits in die­sem Jahr, den sieb­ten Platz. Der gelern­te Tech­ni­sche Zeich­ner, der sich neben sei­ner Schla­ger­kar­rie­re auch als Syn­chron­spre­cher und TV-Mode­ra­tor ver­ding­te und sogar als Stadt­ver­ord­ne­ter im Par­la­ment von Mechelen saß, starb im Alter von nur 43 Jah­ren am ers­ten Weih­nachts­fei­er­tag 1980 gemein­sam mit sei­ner Ehe­frau bei einem Auto­un­fall. Er hin­ter­ließ zwei Söh­ne, von denen einer wie­der­um den Beruf des Sän­gers ergriff.

Ist es Qual, ist es Genuss? Er bleibt im Kopf, der ers­te Kuss: Rita Deneve.

Vor­ent­scheid BE 1967

Can­zo­nis­si­ma. Sams­tag, 25. Febru­ar 1967 aus dem The Ame­ri­kaans Thea­ter in Brüs­sel. Sechs Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Jan Theys.

#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01Ron­ny TemmerDe ran­ke Roos013
02Kalin­kaDe Wind004
03Rita Den­eveDie eers­te Kus004
04Kalin­kaEen Strand vol Eenzaamheid004
05Lou­is NeefsIk heb Zorgen111
06Anne­ke SoetaertVer­lan­gen032
07Chris Wij­nenWant ik hield van jou004

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 18.10.20

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