Bel­gi­scher Vor­ent­scheid 1963: Stell Dir vor, Sizi­li­en 1936…

Was ist das nur mit den Belgier:innen und ihren ita­li­o­phi­len Con­nec­tions? Das Gast­ar­bei­ter­kind Roc­co Gra­nata schaff­te sei­nen euro­pa­wei­ten Durch­bruch mit dem selbst geschrie­be­nen Mil­lio­nen­sel­ler ‘Mari­na’ von sei­ner dama­li­gen Hei­mat Bel­gi­en aus; die bis zum heu­ti­gen Tage ein­zi­ge Grand-Prix-Sie­ge­rin des Pom­mes-Fri­tes-Staa­tes, San­dra Kim, ver­fügt eben­falls über Vor­fah­ren aus dem Piz­za-und-Pas­ta-Land; und der letzt­plat­zier­te Titel der bel­gi­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung von 1963, bizar­rer­wei­se ver­an­stal­tet unter dem Titel Can­zo­nis­si­ma (den eigent­lich die Rai für eine in ihrem Pro­gramm jahr­zehn­te­lang lau­fen­de, sehr belieb­te Revue­show ver­wen­de­te), hieß ‘Con Amo­re’, gesun­gen von einer Dame mit dem Namen einer ukrai­ni­schen Puff­mut­ter und einer nach­ge­ra­de sen­sa­tio­nel­len Mar­ge-Simpson-Fri­sur. Der Lie­ve Olga wur­de es womög­lich zum Ver­häng­nis, dass man ihr eine Volie­re als Büh­nen­de­ko­ra­ti­on hin­ge­stellt hat­te, die dort ein­ge­sperr­ten Vög­lein jedoch wäh­rend ihres Vor­trags stän­dig ver­such­ten, die Flucht zu ergrei­fen. Verständlicherweise.

Oder fühl­ten sich die Tier­chen durch Olgas Vogel­nest­fri­sur magisch angezogen?

Bob Ben­ny, der bel­gi­sche Euro­vi­si­ons­ver­tre­ter von 1959 und 1961, sorg­te im Vor­feld für einen Eklat: wie alle Partizipant:innen des flä­mi­schen Vor­ent­scheids nahm er an einer Serie von ins­ge­samt neun (!) Vor­run­den teil, in denen er gleich zwei Titel im Ren­nen hat­te. Aller­dings schmiss die ver­ant­wort­li­che TV-Anstalt Ben­nys Song ‘Mijn klei­ne blau­we Zwalw’ kurz­fris­tig aus dem Pro­gramm, weil der Lied­text bereits vor der Sen­dung ver­öf­fent­licht wur­de: eine unver­zeih­li­che Sün­de in den Augen der Offi­zi­el­len, ver­schaff­te dies dem Sän­ger ihrer Mei­nung nach doch einen, wenn auch mini­ma­len, Start­vor­teil. Erin­nert in sei­ner Absur­di­tät ein wenig an das eben­falls unfrei­wil­li­ge Aus von Git­te Hæn­nings ‘Jeg snak­ker med mig selv’ beim däni­schen Melo­di Grand Prix im Vor­jahr und zeigt, mit wel­chem hei­li­gen Ernst die euro­päi­schen TV-Sta­ti­on sei­ner­zeit den Wett­be­werb behan­del­ten. Ben­ny schäum­te vor Wut – und sang aus Pro­test die Lyrics des inkri­mi­nier­ten Titels zur Melo­die sei­nes nicht dis­qua­li­fi­zier­ten Bei­trags ‘Boe­ren­wals’ (‘Bau­ern­wal­zer’). Als Kon­se­quenz die­ser unglaub­li­chen Insub­or­di­na­ti­on strich der flä­mi­sche Sen­der auch die­ses Lied und Bob Ben­ny von der Lis­te der zuge­las­se­nen Vor­ent­schei­dungs­kan­di­da­ten. Mal abge­se­hen von die­sem unter­halt­sa­men Sturm im Was­ser­glas herrsch­te im Fina­le des bel­gi­schen Vor­ent­scheids 1963 jedoch töd­li­che Lan­ge­wei­le. Man mag sich gar nicht vor­stel­len, wel­cher Driss in den Semis kle­ben blieb: die sechs ver­blie­be­nen Bei­trä­ge zeich­ne­ten sich samt und son­ders durch das Feh­len jed­we­der Melo­die oder auch nur der gerings­ten Spu­ren von Pepp aus.

Beson­ders bizarr: als sei­en die mau­en Final­ti­tel nicht schon Stra­fe genug, muss­ten die bel­gi­schen Zuschauer:innen sie gleich zwei mal über sich erge­hen las­sen (kom­plet­tes Finale).

Was es als um so sadis­ti­scher erschei­nen lässt, dass der Sen­der die TV-Zuschauer:innen und das anwe­sen­de Stu­dio­pu­bli­kum bis aufs Blut quäl­te, in dem zum Auf­takt der Final­show zunächst die weit­hin unbe­kann­te Sän­ge­rin Ani­ta Ber­ry gleich fünf der sechs Titel vom Blatt able­send zum Vor­tra­ge brach­te (für die Bal­la­de ‘Waroom?’ lieh man sich John de Mol aus den Nie­der­lan­den aus) und danach erst in einer zwei­ten Run­de die eigent­li­chen Interpret:innen die Lie­der sin­gen durf­ten. Zu ihnen zähl­te die als Lilia­ne Couck gebo­re­ne Lize Mar­ke mit ihrem pas­send zu ihrem kon­sum­freu­di­gen Künst­le­rin­nen­na­men aus­ge­wähl­ten Wer­be­song für beson­ders fei­nes Geschirr aus Mei­ßen, das all­seits begehr­te ‘Sak­s­isch Por­se­lein’. Gute Güte: hol­län­disch ist nun aber auch wirk­lich eine beson­ders unat­trak­ti­ve Spra­che (und ja, mir ist die Iro­nie die­ser Aus­sa­ge im Zusam­men­hang mit Sach­sen durch­aus bewusst)! Mar­kes gesun­ge­ne Aus­steu­er­wunsch­lis­te schaff­te es jeden­falls in der Gesamt­wer­tung aus Publi­kums- und “pro­fes­sio­nel­ler” Jury auf den vier­ten Rang. Ihr zwei­ter Bei­trag ‘Luis­ter naar de Wind’, mit dem sie anschlie­ßend einen klei­nen Hit im Hei­mat­land lan­de­te, ver­fehl­te den Sieg nur um drei Punk­te. Pikant: den Bei­na­he­sieg ver­dank­te sie aus­schließ­lich der “Profi”-Jury, bei den Lai­en lan­de­te sie damit auf dem letz­ten Rang.

Über ech­tes Meiß­ner Por­zel­lan ver­fügt die alte Erb­tan­te, und nur des­we­gen bekommt sie von Lize noch Besuch.

Das aus­ge­spro­chen knap­pe Ergeb­nis sorg­te für ver­nehm­li­ches Gegrum­mel im Saal­pu­bli­kum, wel­ches bereits die ver­däch­tig weni­gen Punk­te der “pro­fes­sio­nel­len” Jury für die lie­be Olga mit wüten­den Buh­ru­fen und Pfif­fen quit­tiert hat­te. Die 1965 vom flä­mi­schen Sen­der dann eben intern zur Euro­vi­si­ons­ver­tre­te­rin bestimm­te und im Lan­de noch bis Mit­te des nächs­ten Jahr­zehn­tes vor allem mit nie­der­län­di­schen Inter­pre­ta­tio­nen inter­na­tio­na­ler Hits erfolg­rei­che Lize Mar­ke, die in den fol­gen­den Jah­ren auch den einen oder ande­ren Grand-Prix-Song cover­te, unter­lag hier trotz der Schüt­zen­hil­fe der Jury einem Cas­ting­show-Knilch. Näm­lich dem als Jozef Remon gebo­re­nen Sän­ger Jac­ques Ray­mond (mer­ke: auf fran­zö­sisch klingt so ein Name doch gleich viel ele­gan­ter!). ‘Waroom?’ – tja, das frag­ten sich sicher nicht nur die haar­scharf geschla­ge­ne Lize, son­dern auch die Juro­ren beim Wett­be­werb in Lon­don, die sei­ne furcht­ba­re Seicht­schnul­ze mit einem auch im Lich­te der schwa­chen Kon­kur­renz noch immer mas­siv über­be­wer­te­ten Mit­tel­feld­platz abspeis­ten. Noch weni­ger Glück brach­te der Titel dem – hier schließt sich der Kreis wie­der – gebür­ti­gen Ita­lie­ner und schwei­ze­ri­schen Ver­tre­ter von 1968, Gian­ni Mas­co­lo, der sich Tei­le der Melo­die von ‘Waroom?’ für den Refrain von ‘Guar­dan­do di Sole’ aus­lieh und trotz (oder wegen) sei­nes deut­lich enga­gier­te­ren Vor­trags ganz weit hin­ten abschloss.

Der popu­lä­re Jac­ques konn­te sich trotz ver­such­ter Jury-Schie­bung das ESC-Ticket ersin­gen. Leider.

Jozef – Ver­zei­hung: Jac­ques – kam 1971 noch­mals zu einem Euro­vi­si­ons­ein­satz, dort gemein­sam mit der Sän­ge­rin Lily Cas­tel als kurz­fris­ti­ge ein­sprin­gen­de Krank­heits­ver­tre­tung für das eigent­lich aus­ge­wähl­te Kult-Schla­ger-Pär­chen Hugo & Nico­le.

Vor­ent­scheid BE 1963

Can­zo­nis­si­ma. Sams­tag, 16. Janu­ar 1963, aus dem Ame­ri­ka­ni­schen Thea­ter in Brüs­sel. Fünf Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Deni­se Maes & Bob Boon.

#Interpret:inTitelJuryPubli­kumGesamtPlatz
01Lize Mar­keSak­s­isch Porselain1241232474
02Rina PiaEr speelt en Orgel1471272743
03Jo Lee­mansZo mooi1141272415
04Lie­ve OlgaCon Amo­re0601261866
05Jac­ques RaymondWaa­rom1141782921
06Lize Mar­keLuis­ter naar de Wind1691202892

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 12.10.2022

< Bel­gi­scher Vor­ent­scheid 1962

Bel­gi­scher Vor­ent­scheid 1965 >

1 Comment

  • Das im Käfig sind übri­gens die ESC-lei­d­er­prob­ten Vogels van Hol­land, die extra impor­tiert wer­den muss­ten, weil gewöhn­li­che Vögel beim ers­ten guttural‑G der Flä­min sofort tot von der Stan­ge gefal­len sind.

    Das Lied der Olga “Com ampiez­za” ist übri­gens ein grau­en­haf­ter Mega-Schmarrn, nur über­bo­ten von dem “Sexis­ti­schen Por­zel­lan” der Lize Mar­ke, das nach ihrer Nicht-Qua­li­fi­ka­ti­on ja bekannt­lich von der Hol­län­de­rin aus­ge­lie­hen wer­den durfte. 

    So hilft man sich unter Nachbarn !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert