Man kann den Franzosen sicherlich nicht vorwerfen, dass sie es in den letzten zehn Jahren nicht ernsthaft versucht hätten: hippe elektronische Tanzmusik von Weltruf (2008, 2012, 2014), düster gefärbter, rotzig abgelieferter Qualitätspop (2013), lässig selbstironische Comedybeiträge (2007, 2014) und Ansprechendes aus dem reichhaltigen multikulturellen Schatzkästlein der ehemaligen Kolonialmacht (2005, 2010, 2011). Doch selbst das Aufbieten ihres größten lebenden Weltstars (2009) blieb ohne die gerechte Entlohnung. Nun scheint sich die Grande Nation auf längst vergangene, glanzvolle Zeiten rückzubesinnen und versucht es mit einem klassischen Chanson, der klingt, als sei er bei Aufräumungsarbeiten in längst vergessenen, schon teilweise eingestürzten Seitenschächten des weitverzweigten Céline-Dion-Archivs zufällig wiederentdeckt worden. ‘N’oubliez pas’ fleht uns die 46jährige Lisa Angell (drei veröffentlichte Alben seit 2011, alle jeweils um Platz 30 in den französischen Charts) mit starker Stimme an: vergesst sie bitte nicht, liebe Jurys, unsere großen Zeiten, damals in den Sechzigern, als wir mit Songs dieser Bauart noch regelmäßig absahnten beim Grand Prix, so scheint sie zu singen.
Leider ohne Bewegtbild: der französische Beitrag 2015
Dabei beteiligt sich Frankreich mit diesem, gestern vom nunmehr zuständigen Sender France 2 sang- und klanglos vorgestellten, intern ausgewählten Lied durchaus an aktuellen Eurovisionstrends: erstmalig erklang es öffentlich im November 2014 bei den staatlichen Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Beginns des ersten Weltkriegs (ein Anlass, dem wir auch Maltas Beitrag von 2014, ‘Coming Home’, zu verdanken haben). ‘N’oubliez pas’ fügt sich nahtlos ein in das prägende Thema dieses Jahrgangs, die blutige Auseinandersetzung nämlich, für die sich bereits die Sängerinnen aus eben diesem Malta und Georgien in Stellung gebracht haben – beide nach eigener Aussage ‘Kriegerinnen’. Bereiten wir uns gedanklich also schon mal auf eine neuerliche Schlacht um Wien vor. Aus der die Franzosen übrigens meiner Einschätzung nach nicht siegreich hervorgehen werden: zwar dürften sie mit ihrer kompetent konstruierten Qualitätsballade sowohl bei den Jurys als auch bei klassisch konditionierten Grand-Prix-Fans für wohlige Nostalgieschauer sorgen (und ich scheue mich nicht, zuzugeben, dass mir das Chanson unter allen bislang für Wien ausgewählten Beiträgen am besten gefällt!). Das beim Televoting abstimmende Eurovisionspublikum unterhalb der Fünfzig hat aber erfahrungsgemäß wenig übrig für Lieder über ‘Le Temps perdu’ (FR 1956)…
Wir müssen reden, Lisa: für Wien bitte ein etwas festlicheres Outfit!
mir gefällts auch!
Ich finde es schön, dass die Franzosen die Uhr wieder ein bißchen zurückstellen – starke Stimme, gute Aussage – ein respektabler Beitrag, der mir bislang auch von allen derzeit “Erwählten” am Besten gefällt.
Das und der schweizer Beitrag sind meine Favoriten unter den bisher bekannten Teilnehmern.