Der Samstag: Zeit für hemmungsloses Tanzvergnügen! Und da wir uns hier beim Eurovision Song Contest befinden, heißt das natürlich: Schlagerdisco! Gleich zwei Schlagerpärchen beliefern uns in diesem Jahr mit rettungslos altmodischem, herrlich campem, gnadenlos tanzbarem Schlagerspaß und geben gerade den Lebenserfahreneren unter uns (*hüstel*) den Glauben an den Grand Prix zurück. Anfangen möchte ich mit den estnischen Rückkehrern Koit Toome (→ EE 1998) und Laura Põldvere (→ EE 2005, ebenfalls in Kiew), die heuer gemeinsam die Eesti Laul gewannen und sich – in schlauer Vorahnung hinsichtlich des potentiellen Siegers des diesjährigen Contests – zum gemeinsamen romantischen Sommerurlaub auf den Spuren von Romeo und Julia ins italienische ‘Verona’ begaben. Keine gute Idee: wie es manchmal so ist, brachte die viele zu Zweit verbrachte Zeit der beiden nach Eigenauskunft “rücksichtslosen” Egoisten ihre bereits bröckelnde Beziehung endgültig zum Einsturz, so dass sie nun nach zu viel Vino Veritas und einem heftigen Streit verkatert und kopflos durch die sehenswerte Altstadt des norditalienischen Städtchens stolpern. Musikalisch entführen sie uns in die goldenen Achtzigerjahre zurück, klingt ihr Discofox-gesteuerter Trennungsschlager doch, wie es ein Fan mal so schön formulierte, als ob Ralph Siegel versucht, einen Dieter-Bohlen-Song zu schreiben. Also angenehm moderntalkinesk – angenehm natürlich nur dann, wenn man wie ich in diesem Jahrzehnt seine popmusikalische Prägung erfuhr und (peinliches Geständnis!) alle Singles des teutonischen Duos kaufte. Wie schon bei Modern Talking ist auch beim estnischen Duo die dunkelhaarige Dame für die tieferen Töne zuständig, während der Kerl die hochgepitchten Gesangsparts beisteuert.
“Western Type of Woman / Western Type of Man” in Verona: in Italien scheint das ‘Karma des Okzidents’ beheimatet zu sein! (EE)
Und wo wir gerade bei Ralph Siegel sind: auch unser heißgeliebtes Grand-Prix-Urgestein hat 2017 wieder ein Eisen im Feuer, erneut für San Marino, wo er durch gutes Zureden (*hüstel*) die bereits dreimalige Vertreterin Valentina Monetta (→ SM 2012, 2013, 2014) von ihren Engagements in den zahlreichen Jazzclubs des Mikrostaates loseisen konnte. Für ‘Spirit of the Night’ verpartnerte er die Eurovisions-Kult-Uschi, die somit von der Anzahl der Grand-Prix-Beiträge her mit den schweizerischen Legenden Lys Assia (→ zweifach in 1956, 1957, 1958) und Peter, Sue & Marc (CH 1971, 1976, 1979, 1981) gleichzuziehen vermag, mit dem gebürtigen US-Amerikaner und Eurovisons-Newbie Jimmie Wilson, der sich zurzeit in Deutschland die Brötchen als Musicalsänger verdient. Für den begleitenden Videoclip schickte er die Zwei durch den erstaunlich steril und unspektakulär aussehenden Münchener Schickeria-Club P1, wo sich die beiden Turteltäubchen in der Kassenschlange erstmalig sehen und natürlich Hals über Kopf ineinander verlieben, sich im bumsvollen Laden aber erst am Ende einer auf “Ecstasy” (ich zitiere nur den Songtext!) durchtanzten Nacht wiederfinden und Jimmie seine rothaarige Angebetete endlich abschleppen in die Arme schließen kann. Musikalisch befindet sich der Song, genau wie sein Komponist, mitten in den Siebzigern und feiert in erfrischend hemmungsloser Retroseligkeit die beste Epoche aller Zeiten: die Disco-Ära! Dort, wo harmonische Melodiebögen und treibende Beats auf hart gestrichene Discogeigen trafen und wo → Rückungen noch offiziell erlaubt waren. Selige Zeiten, in denen Onkel Ralph hörbar zu Hause ist, weswegen er hier mal wieder zur erfreulichen Höchstform aufläuft.
Es wäre kein echter Grand Prix ohne Siegel und ohne die Monetta! ℠
EDM #15: Marleen, eine von uns Beiden muss nun gehn. Aber wer darf bleiben?
- Estland: Koit Toome + Laura Põldvere – Verona (64%, 87 Votes)
- San Marino: Valentina Monetta + Jimmie Wilson – Spirit of the Night (36%, 50 Votes)
Total Voters: 137
Ergebnis: Die Achtziger schlagen die Siebziger – mit knapp zwei Dritteln der Stimmen können die estnischen Modern-Talking-Epigonen das sanmarinesische Disco-Pärchen abhängen. In der nächsten Runde battlen sich Hip-Hopper – seid dabei!
Ja, ja… das norditalienische «Städtchen». Bei einem «Städtchen» gehe ich von einer Einwohnerzahl von 5000 bis 25’000 aus. Verona ist eine italienische Stadt mit 260’000 Einwohnern. Also: eine Stadt;-)
Eine ernsthafte Stadt fängt bei mir bei 500.000 Einwohnern an. Ab 100.000 Einwohnern ist es für mich ein Städtchen oder eine Kleinstadt, alles darunter ist ein Dorf. Die amtlichen Festlegungen mögen davon abweichen. Aber: mein Blog, meine Regeln. 😉
Eigentlich müsste ich Estland wählen. Da ich Anfang der 80er geboren wurde, hat mich dieses Jahrzehnt musikalisch mehr geprägt als die dadurch komplett verpassten 70er. Aber man muss Ralph und Valentina einfach mögen!
Der sammarinesische Beitrag ist zwar sicher nicht die Erleuchting des Jahrhunderts, aber immerhin solide Arbeit. Erinnert mich ein wenig an Siegels Machwerk für Andrea Demirovic, das mir seinerzeit recht gut gefiel und viel zu schlecht abschnitt.
Aber besser als das das estnische Machwerk ist er auf jeden Fall, erfüllt mch dieser doch einfach mit Brechreiz pur, aufgrund der Erinnerung an das unsägliche Modern Talking Geseiere. Leider sehen das offenbar zu wenige andere ebenso …
@Def
sehe ich genauso. Bin geradezu geplättet, dass der Sch… so gut ankommt. Ich habe es mir gestern tatsächlich noch zweimal angehört, um sicher zu gehen, dass ich da nix überhört habe. Habe ich nicht! Sechs qualvolle Minuten umsonst.
Auch bei San Marino gehe ich konform. Die beiden haben wenigstens richtig gute Stimmen. Aber das Deathmatch ist wohl so gut wie vergeigt für die Guten.…
Natürlich muss Ralph Siegel immer wieder auf die Monetta zurückgreifen. Schließlich ist sie die Einzige, die in San Marino wohnt, da ist die Auswahl schnell getroffen.
Lieber Oliver, hiermit bestelle ich Dir schöne Grüße aus Offenbach (ist ja dann auch keine Stadt für Dich, grins.…)