Hut ab: niemand trollt die Eurovisionsgemeinde so genial wie San Marino! Ließ sich der chronisch klamme Sender des Miniaturstaates letztes Jahr noch von der ehemaligen österreichischen ESC-Teilnehmerin Zoë Straub eine crowdfunding-finanzierte öffentliche Vorentscheidung andrehen, bei der gewann, wer am meisten Geld sammelte, posaunte SMRTV an Silvester 2018 großspurig in die Landschaft, man arbeite derzeit hinter verschlossenen Türen “mit einem wunderbaren internationalen Künstler” an einem Beitrag für Tel Aviv. Und während sich die Fan-Bubble in den wildesten Spekulationen über mögliche Weltstars erging, brachte sich der wegen rassistischer Äußerungen im Sommer 2018 aus dem britischen Big-Brother-Haus geworfene, Schönheits-OP- und aufmerksamkeitssüchtige, gebürtige Brasilianer Rodrigo Alves, auch bekannt als hochgradig tragische “menschliche Ken-Puppe”, selbst ins Gespräch, was man in San Marino genüsslich weder bestätigte noch dementierte. Genauso wenig wie die Behauptung der russischen Sängerin Daryana Kraieva, sie sei die Auserwählte. Gestern nun ließ man die Katze aus dem Sack. Und siehe da: bei dem geheimnisumwobenen “internationalen Künstler” handelt es sich um einen im Wortsinne alten Bekannten! Nämlich um die türkische TV-Persönlichkeit Serhat Hacıpaşalıoğlu, der bereits 2016 die Winz-Republik vertrat. Zu Hilfe: ich kann seit gestern nicht aufhören, zu lachen.
https://youtu.be/NHykTpxCVR8
“I want to pee inside your Mind”: Serhat will es nochmal wissen!
Etwas mehr Mühe gibt man sich unterdessen in den Niederlanden. Dort nominierte der Sender TROS am gleichen Tag den 24jährigen Duncan Laurence als Vertreter für Tel Aviv. Der nahm 2014 noch unter seinem bürgerlichen Namen Duncan de Moor an der Castingshow The Voice of Holland teil, wo er mit seinem markanten Falsetto die damalige Jurorin Ilse de Lange (Common Linnets) becircte, die seither zu seinen Förderinnen gehört. Und das sogar mit einem (grusel) Ed-Sheeran-Song! Das disqualifiziert unter normalen Umständen eigentlich jeden Sänger von der Aufnahme in meine Sympathie-Liste. Duncan verfügt jedoch über eine dermaßen tolle Stimme und Ausstrahlung, dass ich ausnahmsweise darüber hinweg sehen kann. Und auch wenn er trotz The-Voice-Teilnahme in seiner Heimat eher zu den Unbekannten zählt, zeigt man sich bei TROS überzeugt: sein Song sei “dermaßen stark, dass wir uns sofort entschieden haben, dass Duncan unser Mann ist”, sagte der Senderchef in der Pressemitteilung. Wer schon mal in den Niederlanden Kaffee trank, mag nun in Zweifel ziehen, ob die dortige Definition von “stark” auch außerhalb des Landes geteilt wird. Davon können wir uns allerdings erst am 7. März 2019 ein Bild machen: erst dann will man den Eurovisionsbeitrag der Öffentlichkeit präsentieren.
https://youtu.be/HE92C3GEGtI
Selbstvertrauen hat er: der niederländische Singer-Songwriter Duncan Laurence (Repertoirebeispiel).
Wo wir uns gerade im Benelux aufhalten, gilt es noch, den bereits vor Wochenfrist verkündeten belgischen Vertreter nachzuliefern. Der ist 17, hört auf den Namen Eliot Vassamillet und nahm letztes Jahr an The Voice Belgique teil, wo er bereits nach einer Runde wieder ausschied. Stört den heuer zuständigen wallonischen Sender RTBF allerdings wenig, der augenscheinlich nur einen willigen Interpreten für ein bereits feststehendes oder gerade im Schaffungsprozess befindliches Lied suchte. Das stammt aus der Feder von Pierre Dumoulin, der bereits Blanches vielgelobtes ‘City Lights’ verfasste, wird uns Normalsterblichen aber auch erst im Februar vorgestellt. Und nachdem ich hochgradig verärgert feststellen musste, dass RTBF alle (zwei) Youtube-Videos von Eliots bisherigen Auftritten sperren ließ, sinkt mein Interesse an diesem Kandidaten gerade schlagartig auf Null und steht bereits jetzt mein Entschluss fest, unter keinen Umständen für ihn anzurufen. Wie ich die Zensur dieser elenden Contentwichser HASSE! Üblicherweise versuche ich ja, mich eines etwas gehobeneren Umgangstons zu befleißigen, aber in diesem Fall kann ich nur sagen: fick dich, Belgien.
Das hier ist nicht der belgische Eliot, sondern ein französischer Vornamensvetter, der ebenfalls schon an The Voice teilnahm und jetzt vertretungsweise diesen Spot füllen darf, da Belgien offenbar kein Interesse an Promotion hat.
Das Stichwort “Contentwichser” führt uns nahtlos ins Nachbarland Frankreich, wo der Vorentscheidungsteilnehmer Silvàn Areg mit eben diesen unangenehmen Zeitgenossen zu kämpfen hat. Nämlich in Form der entweder gierigen oder geistig derangierten Erben der Comiclegende René Goscinny, dem Schöpfer der im Lande zum kulturellen Grundkanon gehörenden Kinderbuchserie Le petit Nicolas. Die stören sich daran, dass Areg mit seinem gleichnamigen Lied dem kleinen Nick, wie er bei uns heißt, die Reverenz erweisen möchte. Oder sie wollen einfach nur Tantiemen erpressen. Der Sprachgesangskünstler geht dem möglichen Rechtsstreit aus dem Weg, in dem er im Finale der Destination Eurovision am kommenden Samstag nun stattdessen die Worte “Allez leur dire” aus dem Refrain als Titel für seinen liebenswert verschrobenen Song verwendet. Bleibt natürlich der konspirative Verdacht, dass es sich womöglich um eine zwischen Areg und den Goscinny-Erben abgekartete Aktion handeln könnte, um dem Beitrag noch etwas zusätzliche Aufmerksamkeit zuzuführen, die es im Blutbad-Finale sicher benötigt. In diesem Falle: hat funktioniert, Hut ab!
Ein neuer Fall von Boogaloo: Silvàn Areg muss den Titel seines Liedes ändern. Hier der offizielle Videoclip, die Liveauftritte ließ France 2 sperren. Sterbt, elende Copyright-Schergen!
OK, im Veegleich zu dem Schrott, den San Marino die letzten 2 Jahre geschickt hat, Frankreichs “Ich bin König auf Instagram” und dem spanischen Miki-Miki dance dieses Jahr sollte Serhat zumindest etwas Klasse und Stil in den diesjährigen ESC bringen, so erschreckend das für einige auch sein mag.
Ich finde, gerade auch solche “Karrieren” gehören irgendwie zum ESC dazu und schließe mich gerne dem Hausherrn beim Lachen an.
Liebe Grüße aus Offenbach !
Und jetzt, nach über drei Jahren, schließt sich ein Kreis. Der in diesem Artikel verlinkte Elliott (mit zwei l & t) nimmt 2022 an der französischen Vorentscheidung teil. Einfach nur genial!