
‘Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden’ hieß ein wirklich wunderschöner Vater-und-Tochter-Schlager aus dem Jahr 1984, den der große Udo Jürgens gemeinsam mit seinem Sproß Jenny Jürgens sang. Die sich heuer daran versuchte (und leider überhob), die deutsche Grand-Prix-Vorentscheidung zu moderieren. “Ich wünsch mir Lieder ohne Leiden”: dieser sehnsuchtsvolle Gedanke überkam die Zuschauer:innen des televisionären Elends hingegen angesichts des unbeschreiblich miserablen Songtableaus dieser Veranstaltung. Bei der sich, wie in den letzten Jahren bereits Usus, völlig unbekannte Hoffnungslose und abgehalfterte Schlagerstars die Klinke in die Hand gaben. So beispielsweise der nur kurze Zeit nach dem Start seiner Hitparadenkarriere bereits wieder an deren Ende stehende Tommy Steiner, der berüchtigte ‘Ficker Fischer von San Juan’, der in den Neunzigern im Zuge des ironischen Schlagerrevivals rund um “die singende Föhnwelle” Dieter Thomas Kuhn und “den Meister” Guildo Horn sein Auskommen eine Zeitlang als gerne mal unter dem deutlichen Einfluss geistiger Getränke stehender Veranstalter von Schlagerdiscos mit prominenten Gaststars (und ihm höchstpersönlich im ausführlichen Vorprogramm) finden sollte. Und hier ein von Hanne Haller und ihrer Lebensgefährtin Ramona Leiß verbrochenes Schlagerchen gegen die Wand sang.
Die Playlist mit den verfügbaren Titeln zum Durchskippen.
Der als Komponist für solche süffig-doppeldeutigen Guilty Pleasures wie ‘Lieb mich ein letztes Mal’ oder ‘Ja ja, die Katja, die hat ja’ (sowie rund eintausend weitere Titel) verantwortliche Gerd Grabowski alias G.G. Anderson (‘Sommernacht in Rom’) lotete in Begleitung mindestens eines Wildecker Herzbubens mit dem selbstverständlich selbst verfassten, harmonikagetränkten ‘Hättest Du heut Zeit für mich’ seine Chancen auf einen Quickie im Seniorenstift aus. Während der unvermeidliche Bernhard Brink mit dem von Matthias Reim geschriebenen Titel ‘Komm ins Paradies’, der sich inhaltlich nicht so recht zwischen Weltfriedens- und Knatterschlager entscheiden konnte, mal wieder im Kitsch badete. Der Lokalmatador Christian Franke (‘Ich wünsch Dir die Hölle auf Erden’), der als Sohn der Stadt den dicksten Saalapplaus und daher eine Trost-Trophäe kassierte, bei den im gesamten Bundesgebiet verteilten Abstimmungsberechtigten jedoch auf dem gerechten vorletzten Platz landete, durfte vermutlich nur aufgrund seiner Herkunft und seines Nachnamens mitmachen. Denn der Bayerische Rundfunk hatte die Veranstaltung erneut in die Nürnberger Frankenhalle abgeschoben, um sich das geheiligte Münchener Studio nicht mit diesem armseligen Schlagerdreck zu beschmutzen. Verständlich.
Ein Outfit wie eine Zwangsjacke: die famose Cindy Berger.
Zu dem leider auch die von mir sonst hochverehrte Cindy (ohne Bert) Berger beitrug: ‘Und leben will ich auch’ mag eine inhaltlich durchaus nachvollziehbare und absolut berechtigte Forderung sein; ihrem schwindsüchtig sich dahinschleppenden Liedchen wünschte man jedoch voller Mitleid den baldigen Gnadentod. Und so erfolglos all diese Schlageraltlasten mittlerweile in den Verkaufscharts waren, so erfolglos blieben sie auch bei dieser Veranstaltung. Denn vermutlich ließen sich nur noch hartgesottenste Ralph-Siegel-Fans zur Teilnahme an der Infratest-Umfrage erweichen, mit welcher die deutschen Repräsentant:innen ermittelt wurden. Anders sind die Siegerinnen nicht zu erklären: das heute zu Recht vergessene Hanauer Mutter-und-Tochter-Duo Maxi & Chris Garden (eigentlich Meike und Chris Gärtner) mit ihrem zu Recht vergessenen ‘Lied für einen Freund’. Man vergleiche dieses mit aufgesetztem, zentnerschweren Pathos intonierte, steindumme Gesumms nur mal mit dem zur gleichen Thematik verfassten ‘Gute Nacht, Freunde’ aus der 1972er Vorentscheidung: da kann einen schon der heilige Zorn überkommen, welch absolut erbärmlichen inhaltlichen und musikalischen Bockmist Siegel & Meinunger sich trauten, hier abzuliefern. Und die ARD sich traute, zu versenden.
Wie Mutter und Tochter: die Gardens.
Schief ging hingegen leider der Versuch von Ralph Siegel (der bei Siegerinnenehrung mal wieder das Mikrofon an sich riss und zu einer vollkommen von sich selbst ergriffenen, peinlich pathetischen Dankesrede ansetzte, was für den lustigsten Moment des Abends sorgte, als die verzweifelte Jenny Jürgens mehrfach vergeblich versuchte, ihm den Sprachstab wieder aus der Hand zu angeln), die erst vierzehnjährige Tammy Swift zur nächsten Sandra Kim aufzubauen. Zum einen konnte der annäherungsweise im gerade noch so eben aktuellen Italo-Disco-Sound gehaltene Wegwerfschlager ‘Tanzen gehn’ im Vergleich zu ‘J’aime la Vie’ natürlich nicht bestehen. Zum anderen schniefte offenbar Tammys Drummer das ganze Speed weg, mit dem die blutjunge Interpretin, die den Titel dennoch sängerisch mit adorablem Aplomb und tänzerisch mit pittoresken Pirouetten performte, auf Siegerinnenformat gebracht werden sollte. Rang 7, Gemecker von Onkel Ralph, Flucht vor der Schande in die USA: für die kleine Hupfdohle nahm der Abend keinen erfreulichen Ausgang. Ungerechterweise, wie man sagen muss, denn unter dem ganzen entsetzlichen Müll, den man uns hier auftischte, war ‘Tanzen gehn’ noch das Lied mit dem geringsten Fremdschämpotential. Schuld an der musikalischen Misere trug natürlich das halsstarrige Festhalten des Bayerischen Rundfunks am mittlerweile vom stechenden Leichengeruch umflorten, klassischen deutschen Schlager, der im echten Leben bereits im Hades der Volkstümlichen Hitparade schmorte.
In der Radio-Vorrunde 1988 schrägte es hauptsächlich an den topaktuellen Stock-Aitken-Waterman-Sound angelehnte Discoschlager. Die waren für das ARD-Schlagerwellenpublikum wohl zu jugendlich-frisch.
Mit dem steinzeitlich-quasireligiösen ‘Patrona Bavariae’ hatte das direkt aus der Hölle geschickte Original Napalm Naabtal Duo in diesem Jahr einen der an einer Hand abzählbaren, deutsch gesungenen Chartstürmer. Während international erfolgreiche heimische Musikproduzenten auf englisch singen ließen, so wie Frank Farian (Milli Vanilli, dessen 1998 an einer Überdosis gestorbener Frontmann Rob Pilatus noch im Vorjahr als Teil der Combo Wind auf der Eurovisionsbühne gestanden hatte), Michael Cretu (Sandra), Dieter Bohlen (Blue System) oder Drafi Deutscher (Mixed Emotions). Doch beim Grand Prix galt weiterhin die überkommene Sprachenregel, und die einflussreiche ARD rührte keinen Finger, die EBU in diesem Punkt zum Umdenken zu bewegen. Hätte auch nur Ärger mit den einheimischen Komponistenlobbys bedeutet. Außerdem sprach der damalige Kanzler, Helmut Kohl, bekanntlich kein Englisch, und als unionstreue Anstalt wollte es sich der BR wohl nicht mit ihm verscherzen. Lieber nahm man rapide sinkende Einschaltquoten in Kauf. So blieb die Vorentscheidung ein Müllplatz für Ausschussware mit längst abgelaufenem Verfallsdatum und eine Spielwiese für Chancenlose. Grand-Prix-Geschichte sollte übrigens noch ein Titel schreiben, der in der Radiovorauswahl für Nürnberg herausgeflogen war: ‘Das Beste’ des österreichisch-schweizerischen Duos Duett. Wenn auch eine etwas unrühmliche.
Schon die Ansage des deutschen Vorentscheids 1988 geriet zum Fiasko, was für die Sendung erst recht galt.
Deutsche Vorentscheidung 1988
Ein Lied für Dublin. Samstag, 31. März 1988, aus der Frankenhalle in Nürnberg. 12 Teilnehmer:innen, Moderation: Jenny Jürgens. Demoskopische Umfrage.# | Interpreten | Songtitel | Televote | Platz | Charts |
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01 | Thomas & Thomas | Träumen kann man nie zuviel | 2388 | 12 | - |
02 | Tommy Steiner | Insel im Wind | 3185 | 06 | - |
03 | Tammy Swift | Tanzen gehn | 3172 | 07 | - |
04 | Bernhard Brink + Gilda | Komm ins Paradies | 3538 | 03 | - |
05 | Michaela | Ein kleines Wunder | 3171 | 08 | - |
06 | G.G. Anderson | Hättest Du heut Zeit für mich? | 3508 | 04 | 59 |
07 | Rendezvous | Du bist ein Stern für mich | 2826 | 10 | - |
08 | Ann Thomas | Regenbogenland | 3351 | 05 | - |
09 | Heartware | Ich geb Dir mein Herz | 3021 | 09 | - |
10 | Maxi & Chris Garden | Ein Lied für einen Freund | 4475 | 01 | 29 |
11 | Christian Franke | In Deiner Hand | 2569 | 11 | - |
12 | Cindy Berger | Und leben will ich auch | 3769 | 02 | - |
Letzte Aktualisierung: 26.04.2023