Con­cours Euro­vi­si­on 1988: Trou­ver de nou­vel­les Musiques

Er war ein Fes­ti­val der unfrei­wil­li­gen Komik, der Schwei­zer Vor­ent­scheid 1988, und sein Mode­ra­tor Ser­ge Mois­son soll­te dazu in nicht uner­heb­li­chem Maße bei­tra­gen. Doch dazu spä­ter. Den Auf­takt bil­de­te ein Deutsch­schwei­zer Pär­chen, von dem die Musik­da­ten­bank Dis­co­gs nur die­ses eine hier prä­sen­tier­te Lied­chen ‘Muet’ ver­zeich­net. Zehn Jah­re nach ihrer Erst­teil­nah­me am Con­cours Euro­vi­si­on ver­such­te es die zwi­schen­zeit­lich in Ehren ergrau­te Isa­bel­le Alba heu­er mit einem nach­denk­li­chen Chan­son über den ‘Clown in der Are­na’, das in die­ser Form bereits 1978 unend­lich ver­staubt gewe­sen wäre. Der von einem ange­grau­ten Voll­bart geschmück­te, haupt­be­ruf­li­che Psych­ia­ter Rena­to Mas­cet­ti wünsch­te sich weit weg auf eine ‘Insel’ und eine angeb­lich schon mal in der ZDF-Hit­pa­ra­de auf­ge­tre­te­ne Ber­na­dette (wer?) bud­del­te mit der ‘Bala­lai­ka in der Som­mer­nacht’ den eigent­lich knapp zwei Deka­den zuvor mit dem Tod von Alex­an­dra bereits zu Gra­be getra­ge­nen Russ­land­schla­ger noch mal aus. Bei der Cock­tail Band han­del­te es um ein Quar­tett, das in der Schweiz mit ‘Roman­ti­schi Wält-Hits’ Erfol­ge fei­er­te, also auf Räto­ro­ma­nisch ein­ge­sun­ge­nen Cover­ver­sio­nen. Ihre erstaun­li­cher­wei­se ita­lie­nisch­spra­chi­ge Eigen­kom­po­si­ti­on ‘Tu sei’ flopp­te hingegen.

Da hat die Schweiz mit der Trup­pe Mum­men­schanz ein­mal ein unter­halt­sa­mes Pau­sen­pro­gramm beim Vor­ent­scheid, und dann fehlt genau die­ses im You­tube-Clip! Den­noch unbe­dingt sehens­wert: die gan­ze Show am Stück.

Dem Räto­ro­ma­ni­schen treu zeig­ten sich hin­ge­gen die Rück­keh­rer Fur­baz, die für den ers­ten Zwerch­fell­bruch des Abends sorg­ten. Und zwar, weil der wie immer am Kla­vier sit­zen­den Front­frau Marie Loui­se Werth das an einem beweg­li­chen Kra­gen­stän­der befes­tig­te Mikro­fon ein ums ande­re Mal nach unten weg­grätsch­te, egal wie oft sie es wie­der nach oben zup­pel­te. So, dass sie ihre drei Minu­ten mit krum­mem Rücken über die Tas­ta­tur gebeugt absol­vie­ren muss­te: köst­lich amü­sant und eine gerech­te Stra­fe für ihre tod­lang­wei­li­ge Bal­la­de ‘Sen­ti­ments’. Der sehr offen­sicht­lich tra­gisch ver­an­lag­te Euro­dis­co-Artist Gemo (bür­ger­lich: Mar­co Schieß) ent­zück­te mit pla­tin­blon­den Haa­ren und zwei aller­liebst auf­ge­bre­zel­ten, jubilant jauch­zen­den und eine per­fek­te Han­do­gra­phy per­for­men­den Back­ground­sän­ge­rin­nen. Die unver­meid­li­che Manue­la Feli­ce zer­sang wie immer einen zum Haa­re­rau­fen däm­li­chen Kli­schee-Schla­ger, ein­ge­rahmt von einem vier­köp­fi­gen, unter ande­rem aus ihren Geschwis­tern bestehen­den Begleit­chor. Die furcht­ba­ren Fünf voll­führ­ten unab­läs­sig syn­chron tap­sen­de Schritt­chen und kur­beln­de Hand­be­we­gun­gen, die in völ­li­gem Kon­trast zu dem pseu­do­nach­denk­li­chen Gesumms von ‘Gibt es auf der Welt denn kei­ne Lie­be mehr’ stan­den, und sorg­ten so für die nächs­ten Lachsalven.

Dass Frau Feli­ce eigent­lich sin­gen kann, bewies sie als Erwach­se­ne im Bereich Musi­cal, Ope­ret­te und Oper (Reper­toire­bei­spiel). Nur in ihrer Schla­ger­pha­se war davon halt nichts zu merken.

Das war aber nichts gegen den ein­gangs erwähn­ten Gast­ge­ber Ser­ge Mois­son. Der hat­te wohl vor der Show ent­we­der zu tief ins Glas geschaut oder sich eine E ein­ge­klinkt. Jeden­falls schüt­te­te er sich bereits bei der Anmo­de­ra­ti­on von Gemos dra­ma­ti­schem SM-Schla­ger aus vor Lachen, und ab da bekam er das brei­te Grin­sen nicht mehr aus dem Gesicht. Bei der Stimm­aus­zäh­lung ver­such­te er hart­nä­ckig immer wie­der die Pres­se­ju­ry auf­zu­ru­fen, obschon die bereits an zwei­ter Stel­le gevo­tet hat­te. Auch das Wie­der­ho­len der gera­de abge­ge­be­nen Punk­te woll­te ihm nicht feh­ler­frei gelin­gen, und so muss­ten ihm die Jurysprecher:innen des Öfte­ren hilf­reich souf­flie­ren oder gar ein­grei­fen, wenn er aus “deux” (zwei) “dix” (zehn) Points gemacht hat­te. Schließ­lich herz­te und bus­sel­te er die Sie­ge­rin des Vor­ent­scheids der­ma­ßen inten­siv ab, dass nach heu­ti­gen Maß­stä­ben eine Mil­lio­nen­ent­schä­di­gung wegen sexu­el­ler Beläs­ti­gung fäl­lig gewe­sen wäre. A pro­pos Sie­ge­rin: voll­kom­men fas­sungs­los hin­ter­lässt es mich aus heu­ti­ger Sicht, dass selbst die legen­dä­re Céli­ne Dion, die beim Con­cours in Gold­fo­lie gewi­ckelt antrat, sich für ihre Euro­vi­si­ons­teil­nah­me ernst­haft erst gegen acht wei­te­re Acts qua­li­fi­zie­ren musste!

Als ob sie bereits ahn­te, dass ihr größ­ter Welt­hit sie knapp zehn Jah­re spä­ter noch­mals auf ein Schiff füh­ren wür­de: Céli­ne im Video­clip zu dem erneut von Atil­la Şeref­tuğ und Nella Mar­ti­net­ti kom­po­nier­ten ‘Ne par­tez pas sans moi’.

Und noch fas­sungs­lo­ser hin­ter­lässt es mich, dass sich die Schweiz ihren zwei­ten (und bis dato letz­ten) Grand-Prix-Sieg bei­na­he durch die Lap­pen hät­te gehen las­sen, wenn es nach den bei­den “pro­fes­sio­nel­len” Jurys von Pres­se und Sen­der gegan­gen wäre! Die stimm­ten näm­lich für den Insu­la­ner Rena­to Mas­cet­ti bzw. die Frau mit dem Flit­ze-Mikro. Gera­de so, als ob die klan­des­ti­nen Geschmacksbevormunder:innen ein­fach ums Ver­re­cken kei­ne Gele­gen­heit aus­las­sen kön­nen, immer wie­der aufs Neue mein Man­tra zu bestä­ti­gen, dass Jurys Wich­ser sind, die abso­lut kei­ne Ahnung von Pop­mu­sik haben und denen jedes Stimm­recht für immer ent­zo­gen gehört! Dass die gebür­ti­ge Kana­die­rin, die zu die­sem Zeit­punkt bereits zahl­rei­che fran­zö­sisch­spra­chi­ge Alben in ihrer Hei­mat und in Frank­reich ver­öf­fent­licht hat­te und den Grand Prix als Sprung­brett nut­zen woll­te, um den rest­li­chen euro­päi­schen Markt zu durch­drin­gen, dann doch zum ESC durf­te, ver­dankt sie aus­schließ­lich den Schwei­zer TV-Zuschauer:innen, die sie in allen drei Lan­des­tei­len uni­so­no an die Spit­ze setz­ten. Und der Rest ist Geschichte…

Stimm­lich bes­ser als beim Schwei­zer Vor­ent­scheid, dafür optisch ent­stellt: die Dion in Dublin.

Vor­ent­scheid CH 1988

Con­cours Euro­vi­si­on. Sams­tag, 6. Febru­ar 1988, aus dem Thé­ât­re de Beau­s­ob­re in Mor­ges. Neun Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Ser­ge Mois­son. Drei regio­na­le Publi­kums­ju­rys, Pres­se­ju­ry, Sen­der­ju­ry (je 20%).
#Inter­pre­tenSong­ti­telDRSTSRTSIPres­seJuryPunk­tePlatz
01HertzMuet04030101051407
02Isa­bel­le AlbaClown dans la Sciure01040302031308
03Rena­to MascettiL’Iso­la06080410073503
04Ber­na­detteBala­lai­ka in der Sommernacht05060703022405
05Fur­bazSen­ti­ments07070706103702
06Cock­tail BandTu sei08050607043004
07GemoPri­son­nier de l’Amour03020505082306
08Manue­la FeliceGibt es auf der Welt denn kei­ne Lie­be mehr?02010204011009
09Céli­ne DionNe par­tez pas sans moi10101008064401

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