Gut zwei Monate nach dem Eurovision Song Contest 1970 erst ging in Lissabon das einst als portugiesischer Vorentscheid aus der Taufe gehobene Festival da Canção über die Bühne. Nun weiß man durch nämliche Veranstaltung ja bereits, dass die Portugies:innen eine fundamental andere Vorstellung vom Konzept der Popmusik haben als das restliche Europa. Dass man an der Algarve aber auch nach einem anderen Kalender lebt, war neu. Und stimmt natürlich nicht: vielmehr hatte sich der Sender RTP dem Grand-Prix-Boykott durch die skandinavischen Nationen und Österreich angeschlossen, mit dem man gegen die Wertungsfarce beim Wettbewerb von 1969, der vier punktgleiche Siegerlieder hervorbrachte, protestierte. Wobei die Motivation im Falle Portugals wohl auch mit der im Land als skandalös empfundenen Nichtachtung des singenden Nationalheiligtums Simone de Oliveira und ihrer identitätsstiftenden Hymne ‘Desfolhada Portuguesa’ durch die Juror:innen in Madrid zusammenhing. Jedenfalls nahm RTP nicht am Wettsingen in Amsterdam teil, wollte aber auf das mittlerweile etablierte und einschaltquotenstarke FdC dennoch nicht verzichten. Das legte man, wohl auch, um keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen, daher in den Mai. Das so seiner eigentlichen Funktion beraubte FdC erwies sich als ziemlich penisträgerlastig: gerade mal zwei Solokünstlerinnen und ein gemischtgeschlechtliches Quartett fanden sich unter den zehn Interpret:innen.
Die Playlist mit den zehn FdC-Beiträgen in Startreihenfolge.
Seinen ersten von insgesamt fünf Versuchen legte hier der schmucke Duarte Mendes hin, hauptberuflich Kapitän und Angehöriger der portugiesischen Seestreitkräfte. Als solcher war er Teil der politisch linksstehenden Movimento das Forças Armadas, die 1974 in der weitestgehend unblutigen Nelkenrevolution den rechtsgerichteten Diktator Caetano stürzten und das Land in die Demokratie führten. Hierbei spielte bekanntlich auch der damalige Eurovisionsbeitrag ‘E depois do Adeus’ seines FdC-Konkurrenten Paulo de Carvalho ein Rolle, der als geheimes Startsignal im Radio lief. Gewissermaßen für seine Verdienste ums Vaterland durfte Mendes dann 1975 zum Eurovision Song Contest. Seine die Nelkenrevolution behandelnde ‘Madrugada’ belegte allerdings nur Rang 16, erhielt aber erstaunlicherweise Douze Points aus der Türkei. Die Anregung, sich seinen endsexy Porno-Schnorres stehen zu lassen, mit dem er sich dabei zumindest optisch profilierte, könnte sich Duarte 1970 bei seinem zweitplatzierten Kollegen Hugo Maia Loureiro abgeschaut haben, den diese Gesichtszierde ebenfalls schmückte. Den Sieg trug der von der Insel Madeira stammende Sänger Sérgio Borges davon, Mastermind der als Schülerband gegründeten Beatkapelle Conjunto Académico João Paulo, die ihn bei diesem Auftritt begleitete. Sein Erfolg als Solist bestärkte jedoch die Auflösungstendenzen des Sextettes, das 1972 sein letztes gemeinsames Album aufnahm. Borges versuchte es solo nochmals 1986 beim Festival da Canção, da allerdings ohne Erfolg. Er starb im Jahre 2011 im Alter von 68.
Zweifellos der dramatischste Beitrag des Abends, und dennoch langweilig: Sérgio Borges mit dem Siegerlied.
Vorentscheid* PT 1970
Festival da Canção. Freitag, 22. Mai 1970, aus dem Cinema Monumental in Lissabon. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Maria Fernanda und Carlos Cruz.* Keine Eurovisionsteilnahme Portugals in diesem Jahr.
# | Interpret:in | Titel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Fernando Tordo | Escrevo às Cidades | 03 | 10 |
02 | Duarte Mendes | Então dizia-te | 06 | 09 |
03 | Hugo Maia Loureiro | Canção de Madrugar | 73 | 02 |
04 | Artur Rodriges | Velho sonho | 21 | 05 |
05 | Intróito | Verdes Trigais | 25 | 03 |
06 | Sérgio Borges | Onde vais rio que eu canto | 84 | 01 |
07 | Rute | A Voz do Chão | 11 | 07 |
08 | Duo Orpheo | Adeus velha amada | 10 | 08 |
09 | Paulo de Calvarho | Corre Nina | 24 | 04 |
10 | Maria da Glória | Folhas verdes | 13 | 06 |
Zuletzt aktualisiert: 15.07.2021
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