Das kurzfristige Wackeln von Eurovisionsteilnahmen aus pekuniären Gründen scheint sich zu einem wiederkehrenden Thema zu entwickeln, an das wir uns wohl oder übel gewöhnen müssen. Wie die EBU heute morgen in einer Presseerklärung verlautbarte, ist der ukrainische Sender UA:PBC aufgrund chronischer Unterfinanzierung unmittelbar in seinem Bestand gefährdet. Bereits Ende April 2018, also in wenigen Wochen, könnte das öffentlich-rechtliche Fernsehen gezwungen sein, den Sendebetrieb einzustellen, da der sich in einem massiven Umstrukturierungsprozess befindliche Sender derzeit nur die Hälfte der benötigten Mittel erhalte. Muss das EBU-Mitglied wirklich dicht machen, kann auch der für den Eurovision Song Contest 2018 ausgewählte Emo-Boy Melóvin nicht am Wettbewerb teilnehmen. Was man natürlich als Glück im Unglück bezeichnen könnte, da so den europäischen Zuschauer/innen zumindest die musikalische Monstrosität ‘Under the Ladder’ erspart bliebe. Im Hinblick auf die Medienvielfalt und Pressefreiheit in der Ukraine würde der Crash von UA:PBC aber natürlich ein verheerendes Zeichen setzen.
Erleidet Melóvin dasselbe Schicksal wie sein rumänischer Kollege Ovidiu Anton 2016?
Übrigens auch im Propagandakrieg mit Russland: das schiebt in Lissabon bekanntlich sein 2017 beim ESC in Kiew von der Ukraine ausgesperrte Repräsentantin Julia Samoylova auf die Bühne. Da wäre ein Fernbleiben der Ukraine für das Land doppelt blamabel. Abgewendet ist die Gefahr unterdessen in der Schweiz: dort endete vergangenen Sonntag ein Volksentscheid über die Abschaffung der Rundfunkgebühren mit einem klaren Nein: 71% der Helvet/innen stimmten für die Beibehaltung des jährlichen Betrags von derzeit 451 Franken (414 €) und damit für eine Fortführung der Arbeit des öffentlich-rechtlichen Anstalt SRG, die bereits angekündigt hatte, im Falle einer Annahme des Begehrens den Betrieb abwickeln zu müssen. Die durch den Volksentscheid angestoßene Debatte führte aber zu einem Entgegenkommen des Öffentlich-Rechtlichen gegenüber seinen Kritiker/innen: der Beitrag soll demnächst auf 365 Franken jährlich sinken (zum Vergleich: für ARD und ZDF zahlen wir derzeit 210 € per anno), die Werbeblöcke im Hauptabendprogramm sollen wegfallen, ein Sparprogramm ist angekündigt. Auf die Zibbz jedenfalls müssen wir in Portugal nicht verzichten.
Drehen die Einnahmepyramide des Schweizer Fernsehens auf den Kopf: die Zibbz.
Zu welchen merkwürdigen Finanzierungsmodellen einnahmeschwache Sender greifen müssen, um am Eurovision Song Contest teilnehmen zu können, davon legte in diesem Jahr das auf eine österreichische Firma ausgelagerte sanmarinesische Vorentscheidungsformat 1in360 Zeugnis ab: dort mussten Fans über ein Crowdfundingplattform Anteile an den Vorentscheidungsbeiträgen erwerben, um ihren Lieblingen das Ticket nach Lissabon zu sichern. Wobei angesichts der zusammengekommenen Summen zu vermuten steht, dass die Künstler/innen ihre Teilnahme (mit-)finanziert haben könnten. Die Formatmacher um Zoë Straubs (AT 2016) Vater Christof kündigten ungeachtet aller Kritik bereits an, 2019 den Beitrag der Miniaturrepublik auf die gleiche Weise finden zu wollen: “Wir sind fest entschlossen, nächstes Jahr mit einer größeren und besseren Auswahl zurückzukehren, maßgeschneidert auf die Erfahrungen und das Feedback, das wir dieses Jahr erhalten haben,” verkündeten sie auf Facebook, wie Eurovoix berichtete. Das hat sich also augenscheinlich gelohnt!
https://youtu.be/L83tFSVelIQ
Wir sind es, die Generation Selbstzahler!
Die aus Deutschland stammende 1in360-Teilnehmerin Jenifer Brening, die beim siegreichen Beitrag ‘Who we are’ kurzfristig für den zurückgetretenen sanmarinesischen Rapper Irol einspringen musste und dessen Sprechgesangsparts (sehr kompetent!) übernahm, verkündete unterdessen auf Facebook, beim Auftritt in Lissabon neben der maltesischen Frontfrau Jessika Muscat auch singen zu wollen: “Meine Lieben… ich hab ein paar Tage gebraucht, um die Situation rund um 1in360 richtig zu verarbeiten. Aber jetzt bin ich soweit. Kurzum: Ich freue mich wahnsinnig über die Gelegenheit, für San Marino beim ESC anzutreten. Ich bin, wie Ihr alle wisst, vor allem Sängerin, insofern war es ein bisschen ein Schock, dass ich mit dem Rap gewonnen habe. Es war eine spontane Entscheidung, Jessika zu helfen, und da ich ja den Song mit geschrieben habe und ich Jessika nicht hängen lassen wollte, freu ich mich natürlich, dass es geklappt hat. Das Anti Mobbing-Thema ist sehr wichtig, und Ihr werdet mich in Lissabon nicht nur rappen, sondern auch ein bisschen singen hören. Insofern ist alles gut.” Da sehe ich doch schon eine hoch unterhaltsame Rosa-Lopez-Situation (ES 2002) auf uns zukommen!
Jenifer mit ihrem eigenen Wettbewerbsbeitrag.