Melo­di­fes­ti­valen 2021: Schwe­den schickt die Tusse!

Zwan­zig Jah­re lang lei­te­te Chris­ter Björk­man das Melo­di­fes­ti­valen und mach­te in die­ser Zeit aus dem schwe­di­schen Aus­wahl­ver­fah­ren eine Ver­suchs­kü­che für das inter­na­tio­na­le Euro­vi­si­ons­fi­na­le sowie das sowohl inner­halb als außer­halb des Lan­des meist­be­ach­te­te Event der Vor­ent­schei­dungs­sai­son. Und das, obwohl die dort prä­sen­tier­ten Bei­trä­ge gera­de in den letz­ten Jah­ren die­sen Sta­tus nicht immer recht­fer­tig­ten. Heu­te gab er sei­ne Abschieds­vor­stel­lung in die­ser Rol­le und führ­te gemein­sam mit dem wei­ter­hin ein­fach unglaub­lich attrak­ti­ven Måns Zel­mer­löw durch den wie immer unter­halt­sa­men Abend. Über­schat­tet von dem abso­lut unver­zeih­li­chen Ver­lust der bei­den herr­li­chen stein­al­ten Schla­ger­schach­teln Ewa Roos und Eva Ryd­berg in der Andra Chan­sen am ver­gan­ge­nen Sams­tag, kämpf­ten heu­te zwölf Acts um das Ticket nach Rot­ter­dam, und im Gegen­satz zu dem beim Mel­lo sonst oft übli­chen Kopf-an-Kopf-Ren­nen stand dies­mal ein ein­deu­ti­ger Erd­rutsch­sieg am Ende.

Das wer­de ich Euch nicht in tau­send Jah­ren ver­ge­ben, Schwe­den: die bei­den Evas muss­ten drau­ßen blei­ben. Schan­de über Euch!

Doch zäu­men wir das Pferd von hin­ten auf: am unte­ren Tabel­len­en­de ver­en­de­ten drei Män­ner, die außer gutem Aus­se­hen nicht viel zu bie­ten hat­ten. Bei Paul Rey beant­wor­te­te sich die von ihm auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge nach dem ‘Miss­ing Link’ sehr schnell: der unter­durch­schnitt­li­che Pop­song in Ver­bin­dung mit sei­ner feh­len­den Aus­strah­lung gaben wohl der Aus­schlag dafür, dass ihn die Televoter:innen kom­plett igno­rier­ten und auch Christ­ers Kum­pel-Club ali­as die inter­na­tio­na­le Jury ihn nur spär­lich mit Punk­ten bedach­te. Bei besag­tem Club fand übri­gens die­se Woche noch ein hek­ti­scher Aus­tausch statt: nach dem Eklat um den bela­rus­si­schen Bei­trag ersetz­te man den Juro­ren aus näm­li­cher Dik­ta­tur rasch gegen einen aus Groß­bri­tan­ni­en. Alva­ro Est­rel­la ser­vier­te mit ‘Bai­la bai­la’ eine der­ar­tig uner­träg­li­che Ansamm­lung bil­li­ger Strand­schla­ger-Kli­schees und Fire-Desi­re-Rei­me, dass im Ver­gleich zu ihm sogar Mar­quess authen­tisch klin­gen. Anton Ewald konn­te zwar hübsch tan­zen, dafür jedoch nicht sin­gen und kei­ne über­zeu­gen­de Ant­wort auf die Fra­ge lie­fern, war­um man zu sei­ner ‘New Reli­gi­on’ kon­ver­tie­ren soll­te, wo doch mit Char­lot­te Per­rel­li eine ech­te Grand-Prix-Göt­tin antrat, vor derem Altar es sich seit einem knap­pen Vier­tel­jahr­hun­dert hul­di­gen lässt. Pas­send zum Titel ihres nost­al­gi­schen Dis­co­fox­schla­gers ‘Still young’ leg­te ihr Gesicht erneut Zeug­nis ab von den Mög­lich­kei­ten der moder­nen Schönheitschirurgie.

In den Jung­brun­nen gefal­len: das Lottchen.

Noch immer erstaun­lich jung, gera­de im Ver­gleich mit Chris­ter Björk­mans fur­chen­tie­fem Fal­ten­face, wirk­ten auch die Her­ren der Dans­band Arvin­g­ar­na, deren ESC-Geschich­te nur ein Jahr weni­ger weit zurück­reicht als die des Impre­sa­ri­os: sie nah­men 1993 am Song Con­test teil, nur ein Jahr nach Chris­ter. Ihr aktu­el­ler Bei­trag ‘Tän­ker inte alla gå hem’ erreg­te vor allem auf­grund der pho­ne­ti­schen Ähn­lich­keit sei­ner Titel­zei­le zum eng­li­schen ‘Take it in the Arse’ Auf­se­hen, und die Jungs spiel­ten die­se Dop­pel­deu­tig­keit im Fina­le augen­zwin­kernd aus. Im Mit­tel­feld lan­de­ten die bei­den vor­her teils hoch gehan­del­ten Kla­ra-Strö­me: wäh­rend Kla­ra Hammar­ström sich für ihren eher upt­em­po­rä­ren ‘Beat of bro­ken Hearts’ eines abge­leg­ten Büh­nen­kos­tüms aus dem Star­light-Express-Schluss­ver­kauf bedien­te, ver­wirr­te Cla­ra Klin­gen­ström bei ihrer depri­mie­ren­den Bal­la­de ‘Behö­ver inte dig idag’ mit einer völ­lig unpas­sen­den Kom­bi­na­ti­on aus Sprin­ger­stie­feln, Lager­feu­er­gi­tar­re und schul­ter­frei­em Pail­let­ten­kleid­chen. Nur unwe­sent­lich bes­ser lief es für Dot­ter und ihr grun­de­ga­les ‘Litt­le Tot’.

Das Mel­lo-Fina­le 2021 am Stück.

Immer­hin noch für einen Medail­len­rang reich­te es für die abso­lut ado­rablen Vor­jah­res­sie­ge­rin­nen The Mamas, die als mensch­ge­wor­de­ne Fer­re­ro-Rocher-Kugeln antra­ten, mit ‘In the Midd­le’ jedoch lei­der nur einen ziem­lich mit­tel­mä­ßi­gen Song im Gepäck hat­ten. Sehr ein­deu­tig ging dies­mal die Wie­der­ho­lung des musi­ka­li­schen Schwanz­ver­gleichs zwi­schen Dan­ny Sau­ce­do und Eric Saa­de aus dem Jah­re 2011 aus. Der blon­de Dan­ny blieb mit dem in einem beweg­li­chen Paket­ver­teil­zen­trum über­zeu­gend vor­ge­tanz­ten ‘Dan­di Dan­sa’ sei­nem The­ma treu, zog mit einem ent­täu­schen­den sieb­ten Platz aber ein­deu­tig den Kür­ze­ren gegen­über sei­nem dun­kel­haa­ri­gen Erz­ri­va­len Eric, der uns mit ‘Every Minu­te’ eine Art song­ge­wor­de­nen Samen­stau prä­sen­tier­te und uns aus­führ­lich dar­über infor­mier­te, wann er “es” am liebs­ten mache. Das war erstaun­lich sexy, reich­te aber lei­der nur für die Sil­ber­me­dail­le. Wobei Eric für den größ­ten Abstand zwi­schen Tele- und Jury­vo­ting ver­ant­wort­lich zeichnete.

Erstaun­lich, wo er neben dem Tan­zen noch die gan­ze Ener­gie für sei­ne mor­gens, abends und am Wochen­en­de aus­ge­führ­te Lieb­lings­be­schäf­ti­gung her­nimmt: Eric “Stami­na” Saade.

Fast dop­pelt so viel Zuspruch von den Zuschauer:innen (und zehn Stim­men mehr von den Jurys) konn­te indes der neun­zehn­jäh­ri­ge Tou­sin Micha­el Chi­za errin­gen. Der kam 2015 als unbe­glei­te­ter min­der­jäh­ri­ger Flücht­ling aus der DR Kon­go nach Schwe­den, wo er 2019 die Cas­ting­show Idol gewann. Mitt­ler­wei­le nennt er sich Tus­se, was per­fekt zu sei­nem flam­boy­ant-andro­gy­nen Auf­tre­ten passt. Sei­ne mit star­ker Stim­me vor­ge­tra­ge­ne Mid­tem­po-Pop­hym­ne ‘Voices’ gehört nun nicht zu der Art von Musik, die mich auf irgend­ei­ner Ebe­ne emo­tio­nal erreicht, kann aber zumin­dest mit einer vor­schrifts­mä­ßi­gen Rückung im letz­ten Refrain über­zeu­gen. Für den schöns­ten Moment des Abends sorg­te der super­sym­pa­thi­sche Sän­ger nach sei­ner Sie­ger­ak­kla­ma­ti­on, als er vor Freu­de wie ein Gras­hüp­fer über die Büh­ne sprang und er die Mamas, die ihm die Tro­phäe über­reich­ten, nicht nur quiet­schend vor Freu­de umarm­te, son­dern sich auch ihrer hul­di­gend vor ihnen auf die Knie warf. Eine zutiefst berüh­ren­de Ges­te der Wert­schät­zung, die ihm die drei Diven mit Ver­beu­gun­gen sofort zurück spie­gel­ten. An die­ser Stel­le hat­te ich dann doch ein biss­chen Pipi in den Augen.

Der rote Hosen­an­zug erin­nert ein biss­chen an Pla­s­tic Bert­rands Sekre­tä­rin­nen-Chic beim ESC 1987, wirkt in Ver­bin­dung mit dem glit­zern­den Geschmei­de aber sehr viel quee­rer und sty­lisher: Tus­se. (Plus sämt­li­che Mel­lo-2021-Bei­trä­ge als Playlist.)

Vor­ent­scheid SE 2021

Melo­di­fes­ti­valen. Sams­tag, 13. März 2021, aus dem Annex in Stock­holm, Schwe­den. 12 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Chris­ter Björk­man, Måns Zel­mer­löw und Shi­ma Niavarani.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­teJuryPlatz
01Dan­ny SaucedoDan­dy Dansa353907
02Kla­ra HammarströmBeat of bro­ken Hearts364306
03Anton EwaldNew Reli­gi­on160911
04The MamasIn the Middle565003
05Paul ReyThe miss­ing Piece071812
06Char­lot­te PerrelliStill young283208
07Tus­seVoices967901
08Alva­ro EstrellaBai­la baila190710
09Cla­ra KlingenströmBehö­ver inte dig idag523905
10Eric Saa­deEvery Minu­te496902
11Dot­terLitt­le Tot485704
12Arvin­g­ar­naTän­ker inte alls gå hem222209

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2 Comments

  • Ja, typisch Schwe­den! Zwar hat mal wie­der nicht das Lied gewon­nen, wel­ches ich ger­ne beim ESC gese­hen hät­te (“Litt­le Tot”), aber mit dem Sie­ger kann ich sehr gut leben. Eric Saa­de hät­te mich etwas auf­ge­regt. Für mich ist es immer noch sein schwächs­ter Mel­lo­song bis­her! Sehr erfreu­lich habe ich das Ergeb­nis von Cla­ra Klin­gen­ström wahr­ge­nom­men. Den fünf­ten Platz hat sie mehr als ver­dient! War für mich ges­tern ein Geheim­fa­vo­rit. Aber die Hammar­ström war auch in Ord­nung. Ver­dient auch die rote Later­ne für Anton Ewald, der schein­bar zum drit­ten Mal in Fol­ge das sel­be Lied beim Mel­lo ein­ge­reicht hat. Ich fra­ge mich immer noch, war­um man sowas direkt ins Fina­le wäh­len kann um es dann mit sie­ben Punk­ten dort abzu­stra­fen. Alles in allem mal wie­der ein sehr unter­halt­sa­mer Abend aus Stock­holm! Und Herrn Björk­man wün­sche ich nen schö­nen Ruh­stand, auch wenn ich nicht immer alles gut fand was er im Bezug zum Melo­di­fes­ti­valen und dem ESC gemacht hat.

  • Mein Lieb­lings­mo­ment war ja, als Tus­se ganz am Anfang der Sie­ges­ver­kün­dung Erik Saa­de ansprang, mit sei­nen Bei­nen des­sen Knie umklam­mer­te und ihn abbus­sel­te wie ein ram­meln­des Hündchen.

    Lied und Vor­trag fin­de ich für einen Schwe­den­plas­tik­song aus der Retor­te ganz ok, aber halt Mit­tel­maß (auf jeden Fall bes­ser als die­se stink­lang­wei­li­ge Eigelb).

    Ein Freund, der nur das Lied sah, hielt Tus­se tat­säch­lich für ne Frau. Wenn ich es mir mit der Bril­le noch­mal anschaue, gefällt es mir sogar noch etwas besser…

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