Con­cours Euro­vi­si­on 1998: Sag, tut ’s nicht weh?

Man war rat­los beim Schwei­zer Fern­se­hen: nach einer län­ge­ren Pha­se mit abwech­selnd mit­tel­präch­ti­gen bis sehr guten Ergeb­nis­sen beim Euro­vi­si­on Song Con­test, aber rapi­de sin­ken­dem Publi­kums­in­ter­es­se, hat­te die ers­te Direkt­no­mi­nie­rung des hel­ve­ti­schen Ver­tre­ters nach über zwei Deka­den natio­na­ler “Aus­schei­dun­gen” im Jah­re 1994 eine schlech­te Wett­be­werbs­plat­zie­rung und dar­aus fol­gend die ers­te Nicht­qua­li­fi­ka­ti­on der Eid­ge­nos­sen­schaft für das nach dem Fall des Eiser­nen Vor­hangs von Anmel­dun­gen aus Ost­eu­ro­pa über­lau­fe­ne Wett­sin­gen der Natio­nen zur Fol­ge gehabt. Auch die in den Jah­ren 1996 und 1997 direkt ent­sand­ten Reprä­sen­tan­tin­nen schnit­ten sehr schlecht ab. Nun gab es mit dem Weg­fall des anti­quier­ten Orches­ters und des Lan­des­spra­chen­zwan­ges sowie der Ein­füh­rung des Tele­vo­tings ech­te, ein­schnei­den­de Refor­men bei der größ­ten Unter­hal­tungs­show der Welt, es weh­te ein fri­scher Grand-Prix-Wind. Also kehr­te man zum offe­nen Vor­ent­scheid zurück, bei dem dies­mal nur die Zuschauer:innen per Anruf ent­schei­dungs­be­rech­tigt waren. Lei­der jedoch offen­bar­ten die neu­en Rah­men­be­din­gun­gen das Dilem­ma der Schweiz: in dem sprach­lich drei­ge­teil­ten Land muss man inter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hi­ge Acts mit der Lupe suchen. Um es kurz zu machen: der Sen­der fand keine.

Ihr Platz scheint nicht im Pop­busi­ness zu sein: die Dritt­plat­zier­te Vanes­sa Jüdt (nur Audio).

Ledig­lich sechs Frei­wil­li­ge lie­ßen sich zusam­men­trei­ben für den erneut von der Ex-Reprä­sen­tan­tin San­dra Simó (jetzt: Stu­der) mode­rier­ten Con­cours Euro­vi­si­on 1998, von dem mal wie­der sämt­li­che Bewegt­bild­be­le­ge ver­schol­len sind. Über die Teil­neh­me­rin­nen Anne Fran­cœur und Vanes­sa Jüdt weiß man gar nichts, von Sus­an Orús und Filip­po Tro­ja­ni immer­hin so viel, das Ers­te­re heu­te als Gesangs- und Stimm­coach arbei­tet und Letz­te­rer 1995 gemein­sam mit der ita­lie­ni­schen Musik­le­gen­de Mina sin­gen durf­te. Das Mäd­chen­quar­tett Talk about Girls ver­öf­fent­lich­te genau eine Sin­gle – mit ihrem Vor­ent­schei­dungs­ti­tel ‘Qual­co­se di te’ als scham­voll ver­steck­te B‑Seite – und lös­te sich dann wie­der auf. Bleibt noch die Sie­ge­rin die­ses Vor­ent­scheids, Gun­vor Gug­gis­berg, die ihren Lands­leu­ten mit dem von ihr selbst und dem sie beglei­ten­den Gei­ger Egon Ege­mann ver­bro­che­nen Rohr­kre­pie­rer ‘Lass ihn’ ein trau­ma­ti­sches Null-Punk­te-Ergeb­nis beim Grand Prix bescher­te. Über den mas­si­ven media­len Shit­s­torm und das men­schen­ver­ach­ten­de Mob­bing, dass die vor­ma­li­ge Stepp­tanz-Meis­te­rin vor, wäh­rend und nach dem ESC beglei­te­ten, sind schon gan­ze Buch­ka­pi­tel geschrie­ben und Doku­men­tar­fil­me gedreht wor­den. Ohne die­ses fins­te­re Kapi­tel noch­mals auf­wär­men zu wol­len, lässt sich nur so viel sagen: man wünscht dies sei­nem ärgs­tem Feind nicht.

Hart an der Gren­ze zum Über­per­for­ma­ti­ven: die zu allem ent­schlos­sen Gun­vor schmeißt “die Arbeit, sogar die Stel­le hin”.

Gun­vor ver­öf­fent­lich­te seit­her in unab­läs­si­ger Fol­ge neue Tracks, die auf kei­ner­lei öffent­li­ches Inter­es­se stie­ßen. 2021 eröff­ne­te sie dann eine Tanz­schu­le. Ihr letz­ter Platz in Bir­ming­ham hat­te für die Schweiz zur Fol­ge, dass das Land 1999 aus­set­zen muss­te. Das deutsch­spra­chi­ge Fern­se­hen, das den NDR bei sei­nen Reform­be­mü­hun­gen unter­stützt hat­te, bekam aus Ham­burg als klei­nes Dan­ke­schön einen Start­platz beim Count­down Grand Prix 1999 zuge­spro­chen und durf­te auch San­dra Stu­der als Komo­de­ra­to­rin bei­steu­ern. Als Inter­pret ent­sandt man den offen schwu­len Chan­son­nier Micha­el von der Hei­de, der mit der char­mant-ver­spon­ne­nen Geschich­te von der ‘Bye bye Bar’ die Ver­an­stal­tung durch­aus berei­cher­te, auch wenn er mit sei­nem hüb­schen Tech­no­schla­ger chan­cen­los blieb. 2010 durf­te er dann als Direkt­no­mi­nier­ter der Schweiz doch noch zum ESC, wo er mit dem groß­ar­ti­gen ‘Il pleut de l’Or’ zwar immer­hin 2 Punk­te hol­te, aber damit immer noch den letz­ten Platz im Semi­fi­na­le. Das hel­ve­ti­sche Bou­le­vard­blatt ‘Blick’, das schon für die Schmutz­kam­pa­gne gegen Gun­vor ver­ant­wort­lich zeich­ne­te, belei­dig­te dar­auf­hin auch Hei­de mit einer Foto­mon­ta­ge sei­nes Gesichts auf Lena Mey­er-Land­ruts Kör­per, wofür der Sän­ger durch zwei Instan­zen hin­weg 5.000 Fran­ken Schmer­zens­geld erstritt. Irgend­wie ver­wun­dert es nicht, dass der Grand Prix in der Musik­sze­ne des DACH-Rau­mes ein so schlech­tes Anse­hen genießt…

Put­zig ist er, der Micha­el, auch wenn ich kein Wort von dem ver­ste­he, was er sagt.

Vor­ent­scheid CH 1998

Con­cours Euro­vi­si­on. Don­ners­tag, 18. Dezem­ber 1997, aus dem DRS-Stu­dio in Zürich. Sechs Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: San­dra Simó. Regio­na­les Televoting.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­tePlatz
01Sus­an OrúsL’En­fant des étoiles1904
02Filip­po TrojaniAmerò di più1705
03Anne Fran­co­eurLe Rêve d’Alice0506
04Gun­vor GuggisbergLass ihn3401
05Talk about GirlsQual­co­sa di te2602
06Vanes­sa JüdtTrou­ver ma Place1903

Zuletzt aktua­li­siert: 28.05.2023

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