Vielleicht ist es doch an der Zeit, dass Putins Armee in Tallinn einmarschiert und das baltische Land wieder heim ins Reich holt. Denn für eigenständige Entscheidungen sind die Est:innen noch immer nicht reif genug, wie sich heute Abend im dritten Semifinale der Eesti Laul 2022 erneut zeigte. Einen einzigen Song gab es im gesamten Line-up, der unbedingt eine Runde weiter gehört hätte: das die goldenen Zeiten der Neunzigerjahre wieder aufleben lassende ‘Let’s talk about’ des extrem campen Russlandesten Aleksei Baruzdin alias Levvi, eine Kreuzung aus Sin with Sebastians CSD-Hymne ‘Shut up (and sleep with me)’ und Salt’n’Pepas gerappter Aufklärungsstunde ‘Let’s talk about Sex’. Im Videoclip feierte Aleksei im Kreise anderer, erschreckend abgemagerter Jugendlicher ein fröhlich queerbuntes Stelldichein, wenn auch ohne ein explizit schwules Pärchen – da scheint das russische Gesetz gegen “Homo-Propaganda” schon durchgeschlagen zu haben. Natürlich wirkte das alles ziemlich billig und prädestiniert für einen Live-Car-Crash. Doch genau aus diesem Grunde holte mich das als einziger der insgesamt zehn Wettbewerbsbeiträge ab.
https://youtu.be/OTdLCc97fLk
Die Inkarnation des jungen Deen: Levvi.
Das heimische Publikum entscheid sich stattdessen für die drei bekanntesten Namen in dieser wieder rein englischsprachigen Runde. Allen voran für die Schwedin Anna Sahlene, die es exakt zwanzig Jahre nach ihrem dritten Platz für Estland mit ‘Runaway’ nochmal wissen will. Was für einen unfreiwilligen “A long Time ago, was it?”-Moment sorgte, als der zur Moderation eingeteilte Bot Laura Põldvere voller Enthusiasmus von den schönen Kindheitserinnerungen sprach, die Anna ihr damals verschaffte. Frau Sahlene und ihre gleich drei (!) Co-Autor:innen bügelten für ihren Mello-Schlager ‘Champion’ einfach nochmal Ira Loscos ‘Walk on Water’ von 2016 frisch auf, ganz nach dem Motto “Besser gut geklaut als schlecht selbst geschrieben”. Auch die Rückkehrerin Elina Netšajeva kam weiter, obwohl sie sich in ihrem halbgaren Langweilerlied ‘Remedy’ nur ein einziges Mal zum halbherzigen Operettenjodeln hinreißen ließ. Immerhin erwies sie im Präsentationsvideo dem fabelhaften australischen Kultstreifen ‘Priscilla – Queen of the Desert’ die Reverenz. In sonnendurchtränkter Wüstenlandschaft spielte auch der an einen Spaghettiwestern angelehnte Clip zu Stefan Airapetjans ‘Hope’: passenderweise, denn der armenischstämmige Este überraschte mit Countrypop. Blöd nur, dass man selbst in der Studiofassung kaum ein Wort von dem versteht, was er singt.
Komm, hol das Lasso raus: Stefan gibt uns den Cowboy (plus alle zehn Viertelfinalbeiträge in Startreihenfolge).
Die diabolischen Jurys (sind Wichser™) retteten anschließend ein völlig egales Trennungsliedchen von einer völlig egalen Blondine sowie mit dem umstrittenen Trio Alabama Watch Dog ausgerechnet die unsympathischsten Teilnehmer des Abends, die sich meinen estnischen Gewährsleuten zufolge im Anmoderationsgespräch mit dem sehr unvorteilhaft gealterten Ott Lepland erneut als überzeugte Impfgegner positioniert haben sollen. Buh! Dann hätte ich doch lieber Lauri Pihlap weiter gesehen, auch wenn dessen etwas heiser intoniertes, midtemporäres Liebeswerben ‘Take me Home’ sicherlich keinen Innovationspreis gewinnen dürfte. Dafür zeigte Lauri uns, wie Robin Bengtsson heute wohl aussähe, wenn er sich nicht ständig ein Zehntel der weltweiten Botoxproduktion ins Gesicht spritzte. Und er bewies mit einem Tanktop in Rippenstrickoptik und V‑Ausschnitt modischen Wagemut. Zu den Songs, die bei einem Wettbewerb wie dem Eurovision Song Contest fraglos untergingen, die zu in einer ruhigen Stunde und einem entspannenden Feierabendrotwein aber einen schönen Hintergrund bildeten, gehörte schließlich ‘Under Water’ von Shira, in dem die Sängerin von ihrer Phantasie berichtete, ihren Gspusi gewaltsam zu ertränken. Wenn’s ein estnischer Juror ist: nur zu!
https://youtu.be/UOhuS8YUCiE
Falls sich sonst niemand opfert, würde ich Lauri schon mit nach Hause nehmen. Außer, Stefan Airapetjan ist verfügbar!
Tatsächlich war die Nummer von der estnischen Mini-Kylie Levvi gar nicht so übel, wenn auch vielleicht eine Prise zu homonormativ. Und in Sachen Ott Lepland muss ich widersprechen: Immer noch sexy!
Am Ende wird wohl die Sahlene mit ihrer Baukastenhymne nach Turin fahren – nicht die schlechteste Wahl, finde ich.
Fand die gestrige Runde sowohl vom Line-up als auch von dem was weitergekommen ist recht in Ordnung. Klar, kann man jetzt über die Unsympathen von AWD (ja, so kürze ich Alabama Watchdog ab) streiten, ob das wirklich gut ist, solche Leute weiterzuwählen, aber musikalisch war das definitiv kein Fehlgriff. Und die werden es auch nicht nach Turin schaffen. Da bin ich dann schon eher bei Anna Sahlene, denn auch wenn die Originalität des Stücks zu wünschen übrig lässt, ist das wenigstens eine Nummer für meine Playlist. Die darf Estland gerne nochmal zum ESC schicken!
Um das hier mal festzustellen: Schon “Walk on Water” war auch nichts weiter als ein neuer Aufguss von “Survivor” (Melodifestivalen 2014). Also: Könnte ein Jury-Darling werden.
Auweia, dieser Schwedenschlonz ist einfach nicht totzukriegen. Sorry, daß wäre für mich definitiv die schlechteste Alternative.
Meine Favoriten bislang Jyrise und Maian. Dann lange nichts.
Ich fand Runde 3 etwas besser als 1 und 2, aber nach wie vor auf Unterblumentopfgewinniveau. Zumindest haben alle Beiträge (bis auf den von Merilin) nicht ganz so eingeschläfert wie die der Wochen vorher. Und Elina hat gar wenig gequitescht, immerhin.
Und Levvis war sooo gut schlecht, dass ich diesen Seiltanz in Live zu gerne gesehen hätte.
Naja, es gibt ja auch noch andere Länder (Hoffnung auf Runde 4 geb ich hiermit auf).