Per­len der Vor­ent­schei­dun­gen: Shut up and vote with me

Viel­leicht ist es doch an der Zeit, dass Putins Armee in Tal­linn ein­mar­schiert und das bal­ti­sche Land wie­der heim ins Reich holt. Denn für eigen­stän­di­ge Ent­schei­dun­gen sind die Est:innen noch immer nicht reif genug, wie sich heu­te Abend im drit­ten Semi­fi­na­le der Eesti Laul 2022 erneut zeig­te. Einen ein­zi­gen Song gab es im gesam­ten Line-up, der unbe­dingt eine Run­de wei­ter gehört hät­te: das die gol­de­nen Zei­ten der Neun­zi­ger­jah­re wie­der auf­le­ben las­sen­de ‘Let’s talk about’ des extrem cam­pen Russ­lan­des­ten Alek­s­ei Baruz­din ali­as Lev­vi, eine Kreu­zung aus Sin with Sebas­ti­ans CSD-Hym­ne ‘Shut up (and sleep with me)’ und Salt’n’Pepas gerapp­ter Auf­klä­rungs­stun­de ‘Let’s talk about Sex’. Im Video­clip fei­er­te Alek­s­ei im Krei­se ande­rer, erschre­ckend abge­ma­ger­ter Jugend­li­cher ein fröh­lich que­er­b­un­tes Stell­dich­ein, wenn auch ohne ein expli­zit schwu­les Pär­chen – da scheint das rus­si­sche Gesetz gegen “Homo-Pro­pa­gan­da” schon durch­ge­schla­gen zu haben. Natür­lich wirk­te das alles ziem­lich bil­lig und prä­de­sti­niert für einen Live-Car-Crash. Doch genau aus die­sem Grun­de hol­te mich das als ein­zi­ger der ins­ge­samt zehn Wett­be­werbs­bei­trä­ge ab.

Die Inkar­na­ti­on des jun­gen Deen: Levvi.

Das hei­mi­sche Publi­kum ent­scheid sich statt­des­sen für die drei bekann­tes­ten Namen in die­ser wie­der rein eng­lisch­spra­chi­gen Run­de. Allen vor­an für die Schwe­din Anna Sah­le­ne, die es exakt zwan­zig Jah­re nach ihrem drit­ten Platz für Est­land mit ‘Runa­way’ noch­mal wis­sen will. Was für einen unfrei­wil­li­gen “A long Time ago, was it?”-Moment sorg­te, als der zur Mode­ra­ti­on ein­ge­teil­te Bot Lau­ra Põld­ve­re vol­ler Enthu­si­as­mus von den schö­nen Kind­heits­er­in­ne­run­gen sprach, die Anna ihr damals ver­schaff­te. Frau Sah­le­ne und ihre gleich drei (!) Co-Autor:innen bügel­ten für ihren Mel­lo-Schla­ger ‘Cham­pi­on’ ein­fach noch­mal Ira Loscos ‘Walk on Water’ von 2016 frisch auf, ganz nach dem Mot­to “Bes­ser gut geklaut als schlecht selbst geschrie­ben”. Auch die Rück­keh­re­rin Eli­na Netša­je­va kam wei­ter, obwohl sie sich in ihrem halb­ga­ren Lang­wei­ler­lied ‘Reme­dy’ nur ein ein­zi­ges Mal zum halb­her­zi­gen Ope­ret­ten­jo­deln hin­rei­ßen ließ. Immer­hin erwies sie im Prä­sen­ta­ti­ons­vi­deo dem fabel­haf­ten aus­tra­li­schen Kult­strei­fen ‘Pri­scil­la – Queen of the Desert’ die Reve­renz. In son­nen­durch­tränk­ter Wüs­ten­land­schaft spiel­te auch der an einen Spa­ghet­ti­wes­tern ange­lehn­te Clip zu Ste­fan Aira­pet­jans ‘Hope’: pas­sen­der­wei­se, denn der arme­nisch­stäm­mi­ge Este über­rasch­te mit Coun­try­pop. Blöd nur, dass man selbst in der Stu­dio­fas­sung kaum ein Wort von dem ver­steht, was er singt.

Komm, hol das Las­so raus: Ste­fan gibt uns den Cow­boy (plus alle zehn Vier­tel­fi­nal­bei­trä­ge in Startreihenfolge).

Die dia­bo­li­schen Jurys (sind Wich­ser™) ret­te­ten anschlie­ßend ein völ­lig ega­les Tren­nungs­lied­chen von einer völ­lig ega­len Blon­di­ne sowie mit dem umstrit­te­nen Trio Ala­ba­ma Watch Dog aus­ge­rech­net die unsym­pa­thischs­ten Teil­neh­mer des Abends, die sich mei­nen est­ni­schen Gewährs­leu­ten zufol­ge im Anmo­de­ra­ti­ons­ge­spräch mit dem sehr unvor­teil­haft geal­ter­ten Ott Lep­land erneut als über­zeug­te Impf­geg­ner posi­tio­niert haben sol­len. Buh! Dann hät­te ich doch lie­ber Lau­ri Pih­lap wei­ter gese­hen, auch wenn des­sen etwas hei­ser into­nier­tes, mid­tem­po­rä­res Lie­bes­wer­ben ‘Take me Home’ sicher­lich kei­nen Inno­va­ti­ons­preis gewin­nen dürf­te. Dafür zeig­te Lau­ri uns, wie Robin Beng­ts­son heu­te wohl aus­sä­he, wenn er sich nicht stän­dig ein Zehn­tel der welt­wei­ten Botox­pro­duk­ti­on ins Gesicht spritz­te. Und er bewies mit einem Tank­top in Rip­pen­strick­op­tik und V‑Ausschnitt modi­schen Wage­mut. Zu den Songs, die bei einem Wett­be­werb wie dem Euro­vi­si­on Song Con­test frag­los unter­gin­gen, die zu in einer ruhi­gen Stun­de und einem ent­span­nen­den Fei­er­abend­rot­wein aber einen schö­nen Hin­ter­grund bil­de­ten, gehör­te schließ­lich ‘Under Water’ von Shira, in dem die Sän­ge­rin von ihrer Phan­ta­sie berich­te­te, ihren Gspu­si gewalt­sam zu erträn­ken. Wenn’s ein est­ni­scher Juror ist: nur zu!

Falls sich sonst nie­mand opfert, wür­de ich Lau­ri schon mit nach Hau­se neh­men. Außer, Ste­fan Aira­pet­jan ist verfügbar!

4 Comments

  • Tat­säch­lich war die Num­mer von der est­ni­schen Mini-Kylie Lev­vi gar nicht so übel, wenn auch viel­leicht eine Pri­se zu homo­nor­ma­tiv. Und in Sachen Ott Lep­land muss ich wider­spre­chen: Immer noch sexy!
    Am Ende wird wohl die Sah­le­ne mit ihrer Bau­kas­ten­hym­ne nach Turin fah­ren – nicht die schlech­tes­te Wahl, fin­de ich.

  • Fand die gest­ri­ge Run­de sowohl vom Line-up als auch von dem was wei­ter­ge­kom­men ist recht in Ord­nung. Klar, kann man jetzt über die Unsym­pa­then von AWD (ja, so kür­ze ich Ala­ba­ma Watch­dog ab) strei­ten, ob das wirk­lich gut ist, sol­che Leu­te wei­ter­zu­wäh­len, aber musi­ka­lisch war das defi­ni­tiv kein Fehl­griff. Und die wer­den es auch nicht nach Turin schaf­fen. Da bin ich dann schon eher bei Anna Sah­le­ne, denn auch wenn die Ori­gi­na­li­tät des Stücks zu wün­schen übrig lässt, ist das wenigs­tens eine Num­mer für mei­ne Play­list. Die darf Est­land ger­ne noch­mal zum ESC schicken!
    Um das hier mal fest­zu­stel­len: Schon “Walk on Water” war auch nichts wei­ter als ein neu­er Auf­guss von “Sur­vi­vor” (Melo­di­fes­ti­valen 2014). Also: Könn­te ein Jury-Dar­ling werden.

  • Auweia, die­ser Schwe­den­sch­lonz ist ein­fach nicht tot­zu­krie­gen. Sor­ry, daß wäre für mich defi­ni­tiv die schlech­tes­te Alternative.

    Mei­ne Favo­ri­ten bis­lang Jyri­se und Mai­an. Dann lan­ge nichts.

  • Ich fand Run­de 3 etwas bes­ser als 1 und 2, aber nach wie vor auf Unter­blu­men­topf­ge­win­ni­veau. Zumin­dest haben alle Bei­trä­ge (bis auf den von Meri­lin) nicht ganz so ein­ge­schlä­fert wie die der Wochen vor­her. Und Eli­na hat gar wenig gequi­tescht, immerhin.
    Und Lev­vis war sooo gut schlecht, dass ich die­sen Seil­tanz in Live zu ger­ne gese­hen hätte.

    Naja, es gibt ja auch noch ande­re Län­der (Hoff­nung auf Run­de 4 geb ich hier­mit auf).

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