Vier Mal innerhalb der letzten Dekade ein Platz ganz weit hinten beim europäischen Wettsingen, darunter zwei letzte und ein Nulpointer, ein nachträglich disqualifizierter Vorentscheidungssieger im Vorjahr: der Eurovision Song Contest genoss bei den Österreicher:innen Anfang der Neunziger nicht unbedingt das beste Ansehen. Zumal er sich musikalisch niemals weiter weg vom aktuellen Popgeschehen präsentierte als zu jener Zeit, nicht zuletzt aufgrund des noch immer geltenden Landessprachenzwangs: auch in der heimischen Hitparade dominierten seinerzeit fast ausschließlich englischsprachige Pop-Produktionen, als einzige Ausnahmen konnten sich die frühere Vorentscheidungsteilnehmerin Jazz-Gitti und die Blödeltruppe EAV unter die Top 30-Jahrescharts mischen. Von den beiden war jedoch beim aktuellen nationalen Finale keine Spur zu finden, ebenso wie von der Sendung selbst heute auf Youtube. Stattdessen führte, wie bereits 1982, der später als Moderator einer Heimwerkersendung bekannte Andreas Steppan durch einen Abend der musikalischen Abgründe, bei dem sich weitestgehend namenlose Sangessternchen mit kraftlosen Schlagerchen das Mikro in die Hand gaben.
Die Playlist mit fünf der zehn Vorentscheidungstiteln, fast alle nur in der Audioversion zu finden.
So präsentierten eine Elisa (wer?) und ein Alex (wer?) mit ‘Du und ich’ eine kitschtriefende Schlagerballade, die in Anbetracht der dort versammelten musikalischen und textlichen Klischees nur aus dem Hause Siegel / Meinunger stammen kann. Das milchgesichtige Schulmädchenduo Fresh sang einen nicht minder altbackenen Grand-Prix-Schlager aus der Feder des ehemaligen Danube-Mitglieds Marc Berry, der im Chor mitkrähte. Die frühere ESC-Repräsentantin Anita Spanner versuchte es ein weiteres Mal, ertrank aber trotz ‘Land in Sicht’ im Meer der musikalischen Nichtigkeit. Das 1997 gegründete Damentrio Three Girl Madhouse, in dem Bettina Soirat mitwirkte, versuchte es vergebens mit Tanzbarem. Der aus einer burgenländischen Roma-Familie stammende Anton Hans Sarközi hatte in den beiden Jahren zuvor unter dem Pseudonym “Tony Vegas” zwei englischsprachige Singles herausgebracht, die klangen, als seien sie von Dieter Bohlen produziert, jedoch floppten. Für seine Teilnahme am Grand-Prix-Vorentscheid änderte er seinen Namen in das etwas seriösere Wegas und versuchte es mit einer ebenfalls von Marc Berry verbrochenen Baukastenballade namens ‘Wunder dieser Welt’, was für die Silbermedaille reichte. Der ORF sollte ihn daraufhin im Folgejahr fix als Vertreter buchen, lustigerweise tatsächlich mit einem Werk des deutschen Pop-Titanen.
https://youtu.be/iugcdccTpL4
Ich schwinge nur mein Glied heut Nacht: schon 1989 zog Thomas Forstner alle Register des gepflegten Schachtlappentums.
Der hatte bereits 1989 für den seinerzeit ebenfalls intern ausgewählten Talentshowgewinner Thomas Forstner, dessen “atemberaubende Farah-Fawcett-Fönwelle frisurentechnisch die Essenz des Wettbewerbs” darstellte, um aus Tim Moores hoch unterhaltsamen Buch Null Punkte zu zitieren, und der sich aktiv bei dem Hamburger Komponisten als Interpret für den bereits feststehenden Song bewarb, seine alte Chris-Norman-Nummer ‘Midnight Lady’ nochmal als ‘Nur ein Lied’ frisch aufgebügelt. Ein fünfter Rang in Lausanne und ein Nummer-Eins-Hit zuhause waren der Mühen Lohn. Nach einer eher mittelprächtig laufenden Nachfolgesingle endete die Zusammenarbeit bereits wieder und der ehemalige Wiener Sängerknabe war erneut auf sich alleine gestellt. Sein Lied für Rom entsprang dem Hirnstüberl eines Songschreibers mit dem schönen Namen Robby Musenbichler, und mehr muss man über den ranzigen Schlagerquark namens ‘Venedig im Regen’ eigentlich gar nicht wissen. Dass er mit dem inhaltlich sinnfreien Machwerk die Konkurrenz in Wien dennoch abledern konnte, dürfte damit zu tun haben, dass deren Angebote sich als noch schlechter erwiesen und man von Thomas zumindest wusste, dass er schon mal beim Grand Prix Erfolg hatte. Oder aber es lag an dem feschen, goldbestickten Bolerojäckchen, das er bei seinem Vorentscheidungsauftritt trug.
Ohne quietschende Trompeten und schief gesungene Töne sogar einigermaßen anhörbar: Vienna im Regen, der Vorentscheidungsauftritt.
In der italienischen Metropole wurde der Goldknabe jedoch vom Pech verfolgt: seine prachtvolle Fußballermatte zeigte sich quasi stündlich schütterer (beim Auftritt im Euroclub im Umfeld des ESC 2015 in Wien präsentierte sich Forstner mit Vollglatze), das schreiende Lila seines Eisläuferkostüms tat im Auge weh, das unfähige Rai-Orchester und das pompös-schleppende Arrangement raubten der Schlagerballade ihre ursprüngliche, sanfte Melancholie. Der verzweifelte Sänger drehte daraufhin sein prototypisches Overacting auf Stufe elf, konnte damit aber nichts mehr retten: die nächsten bitteren Nul Points für Österreich und das Karriereende für den Interpreten, auch wenn ‘Venedig im Regen’ nochmal Rang 5 in den heimischen Charts eroberte. Doch anders als in früheren Jahren, wo die Austria-Presse schlechte Ergebnisse beim europäischen Schlagerwettbewerb stets als unverdientes Schicksal achselzuckend hinnahm, richtete sich nun erstmalig der Zorn gegen den Repräsentanten und gab ihm die Schuld am “rotweißroten Nationalbegräbnis in Rom”, wie Die Presse es formulierte. Sei der “Bademeister-Charme des 21jährigen” 1989 noch mit einem “skandalös guten fünften Platz honoriert worden, so rückten die Schiedsrichter heuer die Dinge entschieden zurecht,” so die Zeitung. Auch die Krone glaubte: “Ganz Europa kann nicht irren”.
Forstner zufolge sei die miserable Rai-Tontechnik verantwortlich: das, was über den Sender ging, habe mit der Live-Darbietung nichts zu tun gehabt. Okay…
Der in Wien lebende deutsche Künstler Tex Rubinowitz machte in seinem Thomasevangelium – einem satirischen Gastbeitrag zum 2015 erschienenen Buch Friede, Freude, Quotenbringer von Mario Lackner und dem Blogbetreiber – gar einen “religiösen Grund” für die Pleite aus: “Thomas hat keine Ohrläppchen, wodurch er etwas Satanisches bekommt. Das in einem altkatholischen Land wie Italien geht gar nicht”. In Österreich ebenso wenig: so massiv fiel die mediale Hexenjagd aus, dass der in Deutsch-Wagram Geborene auf Tauchstation gehen musste. In der Musikindustrie habe man ihn – jedenfalls seiner eigenen Erzählung zufolge – zur “Persona non grata” erklärt, weil er die ihm danach überhaupt noch angebotenen Grottenschlager nicht singen wollte. Forstner suchte sich gezwungenermaßen einen neuen Brotjob als Programmierer. Heute lebt er auf einem eigenen Bauernhof in Kärnten und hält dort Schafe, die er “vor dem Kebap gerettet” hat, wie er in einem Radio-Interview verriet. Im Mai 2021 veröffentlichte er dann wieder eine Single: das chillige ‘Summer Dream’, eigentlich ein schönes Stück für die Strandbar. Schade nur, dass es in diesem Jahr keinen richtigen Sommer gab…
Vom Regen in die Sonne: klingt gleich viel besser!
Vorentscheid AT 1991
Ein Lied für Rom. Samstag, 16. März 1991, aus den ORF Studios in Wien. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Andreas Steppan, Nicole Fendesack. Jury (50%) und Televoting (50%).# | Interpreten | Songtitel | Platz |
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01 | Alex | Zurück zu dir | 08 |
02 | Erwin Bros | Nur vom Frieden zu reden | 04 |
03 | Natascha | Gebt den Kindern dieser Welt | 10 |
04 | Three Girl Madhouse | 1001 | 09 |
05 | Anita Spanner | Land in Sicht | 07 |
06 | Fresh | Spürst du | 06 |
07 | Tony Wegas | Wunder dieser Welt | 02 |
08 | Curt Strohm | Feuer | 05 |
09 | Alex + Elisa | Du und ich | 03 |
10 | Thomas Forstner | Venedig im Regen | 01 |
Letzte Aktualisierung: 11.10.2021