Finally facing my Waterloo
Das deutsche Jahrzehnt
Ach, die Achtziger! Das unbestreitbar schaurig-schönste Jahrzehnt der Popgeschichte; die Ära der Schulterpolster, Haarhelme, Pastellfarben, Vokuhilas und des mit dem Spachtel aufgetragenen Make-ups. Sowie der Synthesizer, die mit ihren quietschig-unnatürlichen Klängen und den programmierbaren Drumpattern die bis dato aufwändig handgespielten “echten” Instrumente ablösten, zur Verbitterung “echter” Rockfans und zur Verzückung der Anhänger:innen alles Artifiziellen. Hier erfuhr ich als damals Adoleszenter meine popmusikalische Prägung: kein Wunder, das ich auf Trash stehe! Hatte der Grand Prix von 1979 mit dem so umstrittenen wie unvergesslichen Auftritt von Dschinghis Khan meine Passion für den Contest geweckt, so musste ich im Verlauf der folgenden Jahre schmerzlich bewegt den schleichenden Niedergang der Show mit ansehen. Jedenfalls, was ihre kulturelle Bedeutung und ihre musikalische Bestückung betraf. Denn kommerziell lief die Eurovisionsmaschine weiterhin auf Hochtouren: auch in seiner dritten Dekade erzielte der Eurovision Song Contest beachtliche Einschaltquoten und warf noch immer echte nationale (‘Theater’, DE 1980) und internationale Hits (‘What’s another Year’, IE 1980) ab.
Das linguistische Nirwana, zehn Jahre nach Abba (SE 1984).
Die Relevanz-Demontage erfolgte von zwei Seiten gleichzeitig: zum einen vergraulten die geschmacklich vergreisten und offensichtlich korrupten Jurys mit ihren fortwährenden, krassen Fehlentscheidungen systematisch alle namhaften Popstars. So werteten sie beispielsweise mit den deutschen Disco-Heldinnen Silver Convention (DE 1977) und Baccara (LU 1978) zwei der kommerziell bedeutsamsten Eurovisionsteilnehmerinnen aller Zeiten vorsätzlich herunter und sorgten so für eine immer uniformere Bestückung des Wettbewerbs mit namenlosen Retortensänger:innen aus der vierten Reihe und mit Wegwerfbeiträgen, die ausschließlich auf den vermuteten, konservativen Geschmack dieses Häufleins älterer Männer zielten. Was übrigens kaum ein Komponist so gut beherrschte wie Ralph Siegel, dessen immergleiche Musikplatitüden nicht nur in Deutschland zunehmend die Grand-Prix-Szene dominierten. Zum anderen machte das beginnende Videoclip-Zeitalter und der 1981 erfolgte Sendestart von MTV, das erstmals rund um die Uhr die beliebten und oft originellen Miniatur-Musik-Filme zeigte, den Eurovision Song Contest als Fernsehschaubühne für europäische Popmusik technisch weitestgehend überflüssig.
Clevere Parodie auf die Buggles oder schlichter Grand-Prix-Müll (BE 1980)?
Zudem splittete sich der Popmarkt, angeführt durch den britischen Punk, in immer weitere, nur noch von Jugendlichen goutierte und streng voneinander abgegrenzte Genres auf, die beim eher am Musikgeschmack Erwachsener orientierten Grand Prix nicht vorkamen, der nach wie vor den zunehmend uneinlösbaren Anspruch verfolgte, eine Show für die ganze Familie abzuliefern. 1982 beispielsweise vollführte im realen Popleben gerade die Neue Deutsche Welle ihren von Nena angeführten ‘Tanz auf dem Vulkan’, die erfolgreichsten heimischen Stars der Zeit hießen Ideal, Extrabreit und Trio. Zeitgleich erkämpfte die unfassbar katholisch-spießig wirkende Nicole aus dem Saarland den ersten Eurovisionssieg für Deutschland. Immerhin: ihre so unpolitische wie glaubhafte Friedensbotschaft versöhnte Europa nachhaltig mit den ehemaligen germanischen Kriegstreibern und verkaufte sich auch im Ausland wie Schnittbrot – mit einer Nummer-Eins-Platzierung selbst im Mutterland des Pop, in Großbritannien! Und doch war ‘Ein bisschen Frieden’ ein weiterer Sargnagel für die musikalische Glaubwürdigkeit des Wettbewerbs: damals selbst noch Schüler, musste ich mein Lieblingshobby vor meinen Klassenkamerad:innen strikt geheim halten, wollte ich nicht risikieren, gemobbt zu werden.
Trug mehr zum deutschen Ansehen im Ausland bei als viele Politiker: Nicole (DE 1982).
Stand. 20:06:2020
Die einzelnen Jahrgänge (mit den dazugehörigen deutschen Vorentscheidungen):