Drit­te Deka­de 1976–1985: Der schlei­chen­de Niedergang

Final­ly facing my Waterloo

Das deut­sche Jahrzehnt

Ach, die Acht­zi­ger! Das unbe­streit­bar schau­rig-schöns­te Jahr­zehnt der Pop­ge­schich­te; die Ära der Schul­ter­pols­ter, Haar­hel­me, Pas­tell­far­ben, Vokuh­i­las und des mit dem Spach­tel auf­ge­tra­ge­nen Make-ups. Sowie der Syn­the­si­zer, die mit ihren quiet­schig-unna­tür­li­chen Klän­gen und den pro­gram­mier­ba­ren Drum­pattern die bis dato auf­wän­dig hand­ge­spiel­ten “ech­ten” Instru­men­te ablös­ten, zur Ver­bit­te­rung “ech­ter” Rock­fans und zur Ver­zü­ckung der Anhänger:innen alles Arti­fi­zi­el­len. Hier erfuhr ich als damals Ado­les­zen­ter mei­ne pop­mu­si­ka­li­sche Prä­gung: kein Wun­der, das ich auf Trash ste­he! Hat­te der Grand Prix von 1979 mit dem so umstrit­te­nen wie unver­gess­li­chen Auf­tritt von Dschinghis Khan mei­ne Pas­si­on für den Con­test geweckt, so muss­te ich im Ver­lauf der fol­gen­den Jah­re schmerz­lich bewegt den schlei­chen­den Nie­der­gang der Show mit anse­hen. Jeden­falls, was ihre kul­tu­rel­le Bedeu­tung und ihre musi­ka­li­sche Bestü­ckung betraf. Denn kom­mer­zi­ell lief die Euro­vi­si­ons­ma­schi­ne wei­ter­hin auf Hoch­tou­ren: auch in sei­ner drit­ten Deka­de erziel­te der Euro­vi­si­on Song Con­test beacht­li­che Ein­schalt­quo­ten und warf noch immer ech­te natio­na­le (‘Thea­ter’, DE 1980) und inter­na­tio­na­le Hits (‘What’s ano­ther Year’, IE 1980) ab.

Das lin­gu­is­ti­sche Nir­wa­na, zehn Jah­re nach Abba (SE 1984).

Die Rele­vanz-Demon­ta­ge erfolg­te von zwei Sei­ten gleich­zei­tig: zum einen ver­graul­ten die geschmack­lich ver­greis­ten und offen­sicht­lich kor­rup­ten Jurys mit ihren fort­wäh­ren­den, kras­sen Fehl­ent­schei­dun­gen sys­te­ma­tisch alle nam­haf­ten Pop­stars. So wer­te­ten sie bei­spiels­wei­se mit den deut­schen Dis­co-Hel­din­nen Sil­ver Con­ven­ti­on (DE 1977) und Bac­ca­ra (LU 1978) zwei der kom­mer­zi­ell bedeut­sams­ten Euro­vi­si­ons­teil­neh­me­rin­nen aller Zei­ten vor­sätz­lich her­un­ter und sorg­ten so für eine immer uni­for­me­re Bestü­ckung des Wett­be­werbs mit namen­lo­sen Retortensänger:innen aus der vier­ten Rei­he und mit Weg­werf­bei­trä­gen, die aus­schließ­lich auf den ver­mu­te­ten, kon­ser­va­ti­ven Geschmack die­ses Häuf­leins älte­rer Män­ner ziel­ten. Was übri­gens kaum ein Kom­po­nist so gut beherrsch­te wie Ralph Sie­gel, des­sen immer­glei­che Musik­pla­ti­tü­den nicht nur in Deutsch­land zuneh­mend die Grand-Prix-Sze­ne domi­nier­ten. Zum ande­ren mach­te das begin­nen­de Video­clip-Zeit­al­ter und der 1981 erfolg­te Sen­de­start von MTV, das erst­mals rund um die Uhr die belieb­ten und oft ori­gi­nel­len Minia­tur-Musik-Fil­me zeig­te, den Euro­vi­si­on Song Con­test als Fern­seh­schau­büh­ne für euro­päi­sche Pop­mu­sik tech­nisch wei­test­ge­hend überflüssig.

Cle­ve­re Par­odie auf die Bug­gles oder schlich­ter Grand-Prix-Müll (BE 1980)?

Zudem split­te­te sich der Pop­markt, ange­führt durch den bri­ti­schen Punk, in immer wei­te­re, nur noch von Jugend­li­chen gou­tier­te und streng von­ein­an­der abge­grenz­te Gen­res auf, die beim eher am Musik­ge­schmack Erwach­se­ner ori­en­tier­ten Grand Prix nicht vor­ka­men, der nach wie vor den zuneh­mend unein­lös­ba­ren Anspruch ver­folg­te, eine Show für die gan­ze Fami­lie abzu­lie­fern. 1982 bei­spiels­wei­se voll­führ­te im rea­len Pop­le­ben gera­de die Neue Deut­sche Wel­le ihren von Nena ange­führ­ten ‘Tanz auf dem Vul­kan’, die erfolg­reichs­ten hei­mi­schen Stars der Zeit hie­ßen Ide­al, Extra­breit und Trio. Zeit­gleich erkämpf­te die unfass­bar katho­lisch-spie­ßig wir­ken­de Nico­le aus dem Saar­land den ers­ten Euro­vi­si­ons­sieg für Deutsch­land. Immer­hin: ihre so unpo­li­ti­sche wie glaub­haf­te Frie­dens­bot­schaft ver­söhn­te Euro­pa nach­hal­tig mit den ehe­ma­li­gen ger­ma­ni­schen Kriegs­trei­bern und ver­kauf­te sich auch im Aus­land wie Schnitt­brot – mit einer Num­mer-Eins-Plat­zie­rung selbst im Mut­ter­land des Pop, in Groß­bri­tan­ni­en! Und doch war ‘Ein biss­chen Frie­den’ ein wei­te­rer Sarg­na­gel für die musi­ka­li­sche Glaub­wür­dig­keit des Wett­be­werbs: damals selbst noch Schü­ler, muss­te ich mein Lieb­lings­hob­by vor mei­nen Klassenkamerad:innen strikt geheim hal­ten, woll­te ich nicht risik­ie­ren, gemobbt zu werden.

Trug mehr zum deut­schen Anse­hen im Aus­land bei als vie­le Poli­ti­ker: Nico­le (DE 1982).

Stand. 20:06:2020

Die ein­zel­nen Jahr­gän­ge (mit den dazu­ge­hö­ri­gen deut­schen Vorentscheidungen):

Les Humphries Singers, DE 1976
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1976
Logo des Eurovision Song Contest 1976
Euro­vi­si­on Song Con­test 1976
Silver Convention, DE 1977
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1977
Logo des Eurovision Song Contest 1977
Euro­vi­si­on Song Con­test 1977
Ireen Sheer, DE 1978
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1978
Logo des Eurovision Song Contest 1978
Euro­vi­si­on Song Con­test 1978
Dschinghis Khan, DE 1979
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1979
Logo des Eurovision Song Contest 1979
Euro­vi­si­on Song Con­test 1979
Katja Ebstein, DE 1980
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1980
Logo des Eurovision Song Contest 1980
Euro­vi­si­on Song Con­test 1980
Lena Valaitis, DE 1981
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1981
Logo Eurovision Song Contest 1981
Euro­vi­si­on Song Con­test 1981
Nicole, DE 1982
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1982
Logo Eurovision Song Contest 1982
Euro­vi­si­on Song Con­test 1982
Hoffmann & Hoffmann, DE 1983
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1983
Logo des Eurovision Song Contest 1983
Euro­vi­si­on Song Con­test 1983
Mary Roos, DE 1984
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1984
Logo Eurovision Song Contest 1984
Euro­vi­si­on Song Con­test 1984
Wind, DE 1985
Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1985
Logo Eurovision Song Contest 1985
Euro­vi­si­on Song Con­test 1985

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