Nach dem für Deutschland hochnotpeinlichen Katastrophenergebnis der hausinternen Grand-Prix-Vorauswahl im Abbajahr 1974 (ein geteilter letzter Platz für den heimischen Beitrag von Cindy & Bert) besann sich sich der für das Schlagerdesaster verantwortliche Hessische Rundfunk darauf, dass er bereits 1970 und (in Zusammenarbeit mit dem Sender Freies Berlin) 1972 sehr glamouröse öffentliche Vorentscheidungen auf die Beine gestellt und mit den dort ausgewählten Künstlerinnen jeweils einen gloriosen Medaillenplatz beim europäischen Wettsingen erzielt hatte. Mit diesem Wissen im Rücken und dem daraus resultierenden Glauben an die eigenen Fähigkeiten zimmerte man in Frankfurt am Main diesmal eine der bestbestückten Veranstaltungen in der deutschen Grand-Prix-Geschichte zusammen. Dabei half, dass der Sender – wie schon 1972 – die Plattenfirmen mit ins Boot holte, die zur Belohnung neben den unvermeidlichen hoffnungsvollen Nachwuchskräften und Has-Beens eine hochkarätige Auswahl der namhaftesten, topaktuellen Schlagerstars beisteuerte. Dermaßen A‑Listen-lastig sollte es beim Deutschen Vorentscheid nur im Jahre 2004 noch einmal werden.
Eine pralle Stunde herausragenden Musikgenusses am Stück: der deutsche Vorentscheid von 1975 in voller Länge.
Als weiterer Glücksfall erwies sich, dass die Industrie den hr im Gegenzug zum Verzicht auf das antiquierte Orchester nötigte, was beim internationalen Wettbewerb – dann auf Drängen Deutschlands – leider erst 1999 der Fall sein sollte. Stattdessen griff man auf das schon bei der ZDF-Hitparade bewährte Halbplayback zurück: Musik und Chorstimmen vom Band, Gesang live. So klangen die Lieder musikalisch zeitgemäß und – wichtig für die kommerzielle Auswertung – exakt so wie auf dem Tonträger. Gleich der ersten von der zauberhaften ARD-Lottofee Karin Tietze-Ludwig annoncierten Künstlerin kam das im Hinblick auf ihren damals superfrischen Sound sehr zupass: die kommende Schwulenikone Marianne Rosenberg, deren Vater, ein Sinti, Auschwitz überlebt hatte und die bereits als Fünfzehnjährige mit ihrer Premierensingle ‘Mr. Paul McCartney’ einen Hit hatte, sang tatsächlich hier erstmals im deutschen Fernsehen ihr mittlerweile legendäres ‘Er gehört zu mir’. Nicht nur der erste Discoschlager aus heimischer Produktion, nicht nur eine (zumindest in meiner Generation) unsterbliche Gay-Hymne, sondern auch ein unfehlbarer Partytrack, den selbst volltrunken heute noch ausnahmslos jede:r – auch heterosexuell orientierte – Deutsche textsicher mitgrölen kann. Also ein Lied, das zweifelsfrei so sehr zum Kulturerbe dieses Landes gehört, dass sein fehlerfreies Nachsingen verbindlicher Bestandteil des Einbürgerungstests sein sollte.
Sie gehört (zu) uns: die große Marianne Rosenberg.
Bei Mariannes Auftritt stimmte schlichtweg alles: grazil schwebte sie im schwarzroten Maxikleid die Studiotreppe hinunter, keck schüttelte sie ohne Unterlass ihre charakteristische Fönfrisur, kirschrot-sinnlich glänzten ihre Lippen. Mit zartesten Hüftschwüngen und einem zu etwa einem Prozent angedeuteten, armlosen Dab wies sie subtil auf die Tanzbarkeit des Titels hin. Ihre Stimme war, wie man das von ihr kennt, der reinste Schmelz. Dass sie nicht aus dem Stand heraus gewann oder wenigstens Zweite wurde, erscheint aus heutiger Sicht unbegreiflich. Tatsächlich erreichte sie in der Juryabstimmung nur den komplett inakzeptablen zehnten Rang, was mich selbst Jahrzehnte später vor Frustration und heiligem Zorn aufheulen lässt und in mir den heimlichen Wunsch auslöst, jedem der damals Abstimmenden (und ihren Verteidiger:innen) eins mit der Dachlatte überzuziehen. Vielleicht nie wieder offenbarte sich die absolute Ahnungslosigkeit und himmelschreiende Inkompetenz der “professionellen” Bewerter:innen dermaßen krass wie an diesem Abend. Frau Rosenberg, die in ihrer ausgesprochen lesenswerten Autobiografie ‘Kokolores’ bekennt, als Kind heimlich den Grand Prix geschaut und sich von seinem Glanz magisch angezogen gefühlt zu haben und die italienische Diva Gigliola Cinquetti als ihr Vorbild nennt, bewarb sich im Folgejahr mit dem Titel ‘Cinéma’ (deutsch: ‘Lieder der Nacht’) in Luxemburg, wo sie erneut gegen ihren Kollegen Jürgen Marcus den Kürzeren zog. Weiteren Versuchen mit allerdings furchtbaren Liedern in den Jahren 1978, 1980 und 1982 im Heimatland sollte ebenfalls kein Glück beschieden sein.
“Denn wer sich liebt, hat auch ein Glied”: dieses mir damals schändlicherweise unbekannte Lied musste ich mal bei einer schwulen Revue im Frankfurter Gallus-Theater auf der Bühne als Karaōke singen. Dafür entschuldige ich mich noch heute bei allen damaligen Zuschauer:innen. Und bei Frau Rosenberg.
So um das Jahr 2003 herum nahmen die Medien und die breite Öffentlichkeit Notiz vom Musikphänomen Bastard-Pop, dem Zusammenmixen zweier stilistisch völlig gegensätzlicher Musikstücke, dessen Wurzeln Wikipedia in der Mitte der Neunzigerjahre vermutet. Dabei erfand Ralph Siegel diese Technik bereits 1975! Das von ihm verbrochene ‘Alles geht vorüber’ täuschte in der Strophe mittels Discogeigen und schneller Beats zunächst eine Seelenverwandtschaft zu Mariannes Phillysound vor. Nur, um im Refrain in eine Dixieland-artige (eher: Dixi-Klo-artige) Mitklatschnummer mit Furztrompeten umzukippen. So, als habe Siegel das Stück aus zwei einzelnen Restposten, die noch in der Klangwerkstatt des Komponisten herumlagen, zusammengedengelt. Angehörs der von ihr zu singenden Textzeile “Tandara ti, tandara tei” kräuselten sich selbst der sturmerprobten Interpretin Peggy March die Haare. Was sie jedoch nicht daran hinderte, mit vollem Körpereinsatz und behelfs eines weißen Cowboyfransenkleides die Jurys zu hypnotisieren, um von dieser musikalischen Gräueltat abzulenken. Dazu flirtete sie im Gegensatz zur immer etwas unnahbar wirkenden Marianne geradezu schamlos mit der Kamera, was dem Auftritt jedoch ein sehr stimmiges Flair verlieh: es war halt von vorne bis hinten billig.
Dafür, dass sie diesen halbgaren Murks auf den zweiten Rang (!) beförderten, gehört den beteiligten Juror:innen übrigens gleich nochmal eine übergezogen: Peggy March.
Zu den zahlreichen Wiederkehrer:innen früherer deutscher Vorentscheidungen zählte neben Peggy auch der Österreicher Peter Horton, der die selbe Atze-Schröder-Brille und ‑Frisur zur Schau stellte wie schon 1972. Damals hatte er zum Ausgleich wenigstens einen tollen Gospelsong am Start. Diesmal brachte er einen mehr als mauen Countryschlager zum Vortrag und verschanzte sich dabei hinter einer kindsgroßen Gitarre, auf welcher er derartig verkrampft und ohne jeglichen Bezug zur Musik herumschrammte, dass man als Zuschauer:in die ganzen langen drei Minuten stets nur dachte: “wen willst du damit täuschen, Hase?”. Zu Hortons Ehrenrettung soll gesagt sein, dass sich auch andere männliche Schlagergrößen der Zeit wie Peter Maffay, Jürgen Drews und Gunter Gabriel bei TV-Auftritten dieser Technik bedienten. Die wohl vor allem den Zweck verfolgte, ihren Händen eine als heterosexuell-maskulin lesbare Beschäftigung zu bieten, damit sie nicht mit den Armen herumruderten wie ihr (damals noch versteckt) schwuler Kollege Jürgen Marcus. In dessen von Jack White komponierten, pompösen Schlagermärschen, mit denen er im Dutzend die heimischen Charts aufrollte, kam dieses Instrument jedoch nun mal nicht vor, so dass ihn allerhöchstens eine Zwangsjacke von seinen verräterischen Handbewegungen hätte abhalten können.
Ein Adler lässt sich nicht einsperren, der muss seine Schwingen ausbreiten und hinausfliegen in die große, weite Welt: der Jürgen, der Marcus.
Das konnte man auch bei seinem Vorentscheidungsauftritt aufs Schönste bewundern. ‘Ein Lied zieht hinaus in die Welt’, nämlich von Frankfurt am Main aus in Richtung Stockholm und anschließend durch ganz Europa: so der Plan des bekennenden Grand-Prix-Enthusiasten. Die Jury machte auch ihm trotz herausragender stimmlicher Leistung einen Strich durch die Rechnung. Kosmischen Ausgleich erfuhr der ehemalige Musicalstar auf kommerzieller Ebene: dort zog sein dick auftragendes Lied nämlich tatsächlich hinaus in die Welt (naja, ein bisschen) und verkaufte sich in den Niederlanden (#17), der Schweiz (#4) und Österreich (#15). Zu Hause belegte es als erfolgreichster Titel dieses Vorentscheids Rang 3 der Charts, während Mariannes Single immerhin noch die #7 schaffte. Unfasslicher Weise kam die 2017 verstorbene Joy Fleming nicht über Platz 32 hinaus: Geschmacksbehinderung scheint in Deutschland eine Volkskrankheit zu sein! Die Mannheimerin mit der unvergleichlichen Röhre wippte sich in einem figurschmeichelnden schwarzen Maxikleid mit lustiger bunter Zauberdrachenschleppe (hätte sie das mal anstelle der kotzgrünen Wurstpelle in Stockholm getragen!) ekstatisch durch ihren sensationellen Soulknaller ‘Ein Lied kann eine Brücke sein’. Welche übermenschliche Willenskraft muss es die vom hr aus Gleichbehandlungsgründen zu absoluter Teilnahmslosigkeit verdonnerten Studiozuschauer:innen wohl gekostet haben, bei dieser mitreißenden Nummer und dieser fantastischen Stimme nicht entfesselt auf die Stühle zu steigen und abzufeiern?
“Dann sprichst du mit Leuten, die Dir nichts bedeuten – schau, ihnen geht es so wie Dir”: you give good shade, Mylady! (Plus Playlist mit 13 der 15 Titel in Reihenfolge der Platzierung.)
Die bedauernswerte Maggie Mae (bürgerlich: Andrea Carle), die im Vorjahr im zarten Alter von nur 14 Lenzen mit der überkandidelten Eindeutschung des eine Dekade alten Ska-Klassikers ‘My Boy Lollipop’ ihren ersten und einzigen Hit hatte, mühte sich im Anschluss, durch unkoordinierte Hyperaktivität von ihrer markerschütternden, sich ständig überschlagenden Kieksstimme und ihrem trotz gleich zweier direkt aufeinander folgenden Rückungen unterirdisch zu nennenden, “total verrückten” Stimmungsschlager abzulenken, gegen den selbst Tina Yorks Spießerhymne ‘Wir lassen uns das Stinken Singen nicht verbieten’ noch intellektuell wirkt. Heutzutage würde man ihr rastlos-manisches Herumtoben, bei dem sie sich wirklich nicht eine einzige Sekunde lang Stillstand gönnte, wohl als ADHS diagnostizieren und medikamentös unterstützt therapieren. Damals erklärte man sie einfach zum “verrückten Huhn” und machte es zu ihrem Markenzeichen. Nach einer weiteren Vorentscheidungsteilnahme 1976, erneut mit einem “total verrückten” Song, und einer weiteren Reihe von unverkäuflichen Singleveröffentlichungen beendete sie Anfang der Achtziger ihre Schlagerkarriere und ging als Hausfrau in die USA. Maggie Mae verstarb am 30. August 2021 im Alter von 61 Jahren in einem Hospital in Florida an den Folgen einer Corona-Infektion.
Auch wenn ihr Outfit das fünffache Alter vermuten lässt: bei diesem Auftritt zählte Maggie Mae gerade mal 15 Jahre.
Mit Séverine verschlug es die monegassische Eurovisionssiegerin von 1971 zum deutschen Vorentscheid. Das hatte die als Josiane Grizeau in Paris gebürtige Sängerin einem langjährigen Rechtsstreit mit ihrem Manager zu verdanken, aufgrund dessen ihr Auftritte und Veröffentlichungen auf dem heimischen Markt verwehrt blieben. Stattdessen suchte sie ihr Auskommen in germanischen Gefilden, wo man der armen Frau aufgetriedelte Grausamkeiten wie ‘Ja ja, der Eiffelturm’ zumutete, die neben dem sämtliche billigen Frankreich-Klischees versammelnden Text vor allem von der Niedlischkoid ihres Aksonts lebten. Bei ihrer sumpfig-unentschlossenen Grand-Prix-Ballade ‘Dreh Dich im Kreisel der Zeit’ wirkte der aber nicht mehr putzig, sondern nur noch störend fürs Verständnis. Nicht, dass man da inhaltlich etwas verpasst hätte.… ‘Heut bin ich arm, heut bin ich reich’: mit diesem selbst getexteten Simpelschlager belegte der in Celle geborene Werner Becker zu Recht einen der hintersten Plätze. Es sollte sein einziger Ausflug in die Eurovisionswelt bleiben. Ungleich größeren Erfolg erzielte der als Sänger eher uncharismatisch wirkende Becker als Musikproduzent und Arrangeur von orchestralen Easy-Listening-Fassungen internationaler Hits, die sich unter dem Projektnamen Anthony Ventura teils millionenfach verkauften. Später produzierte er deutsche Schlagergrößen wie Klaus & Klaus oder Nino de Angelo, aber auch Titel beispielsweise für die No Angels.
Der singende Kullerpfirsich: Séverines Comebackversuch erwies sich als so überflüssig wie erfolglos.
Hinter Becker reihten sich – ebenso verdient – nur noch die beiden Ric(k)ys ein. Für die Newcomerin Ulrika alias Ricci Hohlt erwies sich ein Stromausfall, der das hr-Sendestudio unmittelbar vor ihrem Auftritt für dreißig Sekunden in pechschwarze Finsternis tauchte und Karin Tietze-Ludwig zur flehentlichen Bitte “Meine Damen und Herren, haben Sie etwas Verständnis für unsere Situation!” veranlasste, als Todesstoß: so blank lagen bei der ausgebildeten Schauspielerin und Mitwirkenden in solchen Meilensteinen des heimischen Filmschaffens wie Graf Porno und die liebesdurstigen Töchter die Nerven, dass sie ihren Titel ‘Du’ komplett in den Sand setzte. Es klang stellenweise, als ob gerade ein Schwein abgestochen würde (dieses schöne Sprachbild verdanke ich meiner Mutter, die das früher immer über mich sagte, wenn ich mit aufgesetzten Kopfhörern zu Madonnas ‘Material Girl’ inbrünstig und lautstark mitträllerte. Danke, Mama!). Dass Ricci im Gegensatz zu mir eigentlich singen kann, stellte sie im Studio von Rainer Pietsch unter Beweis, dem Komponisten von ‘Ein Lied kann eine Brücke sein’, der sie bei einigen Discoproduktionen im Chor einsetzte.
Wenn du bereits nach drei Sekunden weißt, dass du es verkackt hast, aber noch drei Minuten lang durchhalten musst: Ricci Hohlt macht saure Miene zum bösen Spiel.
Von Ricci zu Ricky (Gordon) sind es nur zwei Buchstaben und zwei Zentimeter, und auch dieser als Eric de Clerck im belgischen Brügge gebürtige Rummelplatztravolta konnte folgerichtig weder stimmlich noch performatorisch überzeugen. Radebrechend, permanent mit dem sich in seinem Anzug verheddernden Mikrofonkabel kämpfend und mit der bewegungslegasthenischen Finesse eines japanischen Katastrophenfilm-Knetmassemonsters pflügte er sich durch sein musikalisches Liebeswerben an eine ‘Sonja’, die er zuvor in der Disco angrub und die ihn mit einer falschen Telefonnummer abwimmelte. Für Gordon, im Heimatland seit 1967 (mit einer letzten Veröffentlichung im Jahre 2001) aktiv, war es die zweite und letzte Single auf dem deutschen Markt, welche ebenso floppte wie der selbst mitgeschriebene Vorgänger ‘Komm wieder, my Love’. Dass die nur alle vor ihm davonlaufen! Woran mag es wohl liegen? Vielleicht konnte Mary Roos ihm das beantworten? Die deutsche Schlagerlegende und Grand-Prix-Vertreterin von 1972 wusste nur zu gut um die Unstetigkeit in Herzensdingen: “Eine Liebe ist wie ein Lied, (…) manchmal vergessen, wenn es verklungen ist” sang sie und erwies sich damit in eigener Sache als prophetisch.
Hatte wohl denselben Haarstylisten wie ihre Kollegin Marianne Rosenberg: Mary Roos, hier mit einer leider nur so mittelguten Liebesballade.
Denn so sehr ich Mary verehre: diese lahme Nummer aus der Feder von Hans Blum vergaß man bereits wieder, während sie noch auf der Bühne stand. Im Gegensatz zu ihrem Kleid, dessen Dessin sich nicht so recht zwischen Geschenkpapier von Woolworth und einem Sofabezug für die Generation 80plus entscheiden konnte und das ob seiner Scheußlichkeit bis heute seines Gleichen sucht. ‘Hör wieder Radio’: mit diesem äußerst eingängig vorgetragenen Imperativ versuchte es die Retortenkappelle Love Generation, ein Me-too-Produkt im Fahrwasser der überaus erfolgreichen Les Humphries Singers. Mit dabei: der mit dem flotten Kirmesschlager ‘It’s a real good Feeling’ (1980 eine Nummer Eins in Deutschland und der perfekte Song für eine Fahrt auf der auch als Jaguar-Express bekannten Berg-und-Tal-Bahn) solo sehr erfolgreiche Peter Kent, der mit der charakteristischen, gefärbten Locke. Sowie die uns 1981 als Teil der Hornettes (‘Mannequin’) wieder begegnende, 2014 verstorbene Gitta Walther: die leicht Füllige mit der großen Stimme, die auch auf dem 1975er Disco-Welthit ‘Fly Robin Fly’ von Silver Convention zu hören ist und im gleichen Jahr den markanten Schrei zu Penny McLeans Nummer-Eins-Hit ‘Lady Bump’ beisteuerte.
Die Love Generation hören gerne die Hits von Gestern. Ich halte es da mit den Reynolds Girls: “Golden Oldies, Rolling Stones, we don’t want them back / I’d rather jack, than Fleetwood Mac”!
Die stümperhaften Kostüme und Choreografie verrieten die Liebesgeneration, die es in den von ständigen Umbesetzungen geprägten neun Jahren ihres Bestehens nie zu nennenswertem kommerziellen Erfolg brachte, als Contest-untaugliche B‑Ware. Dafür hörte man ihren schamlos kalkulierten Werbesong für Oldiewellen natürlich öfters im Radio. Für Katja Ebsteins Breitwandschmachtfetzen ‘Ich liebe Dich’ sei es nach späterer Aussage der Künstlerin nur vier Jahre nach ihrer Doppelrepräsentation beim Grand Prix “noch zu früh” gewesen. Angesichts des Niveauverlustes im Vergleich zu ihren damaligen Songs bin ich eher geneigt, zu sagen: zu spät. Das mit ‘Wunder gibt es immer wieder’ (1970) und ‘Diese Welt’ (1971) von der als sozialkritisch positionierten Schlagertante vorgegebene, sehr hohe künstlerische Niveau konnte die Gute trotz weiterer Politschlagerperlen wie dem ‘Indiojungen aus Peru’ natürlich nicht all zu lange halten. Mit dem doch arg volkstümlich anmutenden ‘Es war einmal ein Jäger’ landete sie bereits im Vorjahr unsanft in den Niederungen des deutschen Schlagermarktes. Ihr diesjähriger Grand-Prix-Versuch ‘Ich liebe Dich’, musikalisch eine Art geronnener Sülze, bot daraus ebenso wenig Befreiung wie ihr dritter Eurovisionsbeitrag im Jahre 1980, das von Ralph Siegel verantwortete, tingeltangelhafte ‘Theater’.
Im Gegensatz zur Kollegin Mary Roos bewies Katja Ebstein wenigstens beim Outfit Geschmack.
Immerhin: im Jahre 2006 adelten sie die genialen norddeutschen Elektro-Hip-Hopper Deichkind mit der endgeilen Partyhymne ‘Remmidemmi’ und der darin enthaltenen Textzeile “Deine Mudder hat gesagt: trag nicht so viel Dreck rein / Auf dem Foto in der Küche sieht sie aus wie Katja Ebstein”. Einen größeren Ritterschlag kann es nicht geben! Als echtes Eurovisionsschmankerl für Trashgourmets erwies sich die letzte Nummer in diesem Concours: Shuki & Aviva, ein israelisches Duo, bestehend aus einer Doppelgängerin der US-amerikanischen Schauspielerin Lili Tomlin (Zwei mal Zwei, Grace & Frankie) und… tja, für ihn fallen mir keine Vergleiche ein, das muss man mit eigenen Augen gesehen haben! Yetifrisur, Vollbart, hautenger (!) schwarzer Catsuit mit einem fast bis zum Bauchnabel reichenden Rundausschnitt (sein Dekolleté reichte deutlich tiefer als ihres), so dass das üppige Brusthaar voll zur Geltung kam. Dazu ein Anhänger, von dem ich mir nicht sicher bin, ob er einen Säbelzahntigersäbelzahn oder eine konservierte Chilischote darstellte. Beide natürlich in meterhohen Plateauschuhen, ihre am Bein als Dominastiefel endend. Eine Tanzchoreografie wie in einem Amsterdamer Animierschuppen (meinen allerhöchsten Respekt, dass sie bei diesen Klumpschuhen überhaupt die Hufe hochbekamen!): schlichtweg eine Sen-sa-tion!
Wie schon Ricci Hohlt verzichtete auch Aviva ganz offensichtlich auf Unterwäsche. Und im hr-Studio schien ein kühles Lüftchen zu wehen…
Shuki Levi komponierte übrigens später nicht nur den israelischen Eurovisionsbeitrag von 1981, sondern auch die Musik für die Zeichentrickserie Power Rangers, führte dort Regie und managte den Medienkonzern von Haim Saban, dem zeitweilig die ProSieben SAT.1 Media AG gehörte. Er dürfte finanziell wohl ausgesorgt haben. Als weniger sensationell bleibt das Auszählungsverfahren in Erinnerung: es gab eine Jury mit je vier Mitgliedern pro Landesrundfunkanstalt, darunter – in einer Art doppelter Minderheitenquote – auch je eine so annoncierte “junge Dame”. Das Erste zeigte jedoch die bei vergangenen ELFs oft zeitlich ausgeuferte und von Buhrufen im Studio begleitete Stimmaddition nicht live, sondern es unterbrach die Show für eine Stunde und ließ anschließend nur das Gesamtergebnis verlesen. Und auch wenn Frau Tietze-Ludwig nicht müde wurde, zu betonen, das Ganze habe unter notarieller Begleitung stattgefunden (man wartete förmlich darauf, dass sie sagen würde: “Der Aufsichtsbeamte hat sich vor dieser Sendung von dem ordnungsgemäßen Zustand der Jurymitglieder und der 15 Lieder überzeugt”): als vertrauensbildende Maßnahme erwies sich das nicht.
John Travolta hat angerufen und will sein Saturday-Night-Outfit zurück: Ricky Gordon.
Lustiges Detail: da es insgesamt 36 Abstimmungsberechtigte gab, die für jedes Lied mindestens einen Punkt (maximal fünf) vergeben mussten, summierte sich das absolut niedrigste erreichbare Ergebnis auf (Sie rechnen mit? Richtig): 36 Punkte. Ricky Gordon erhielt gerade mal 37 Zähler, was ja nichts anderes heißt, als dass lediglich ein:e einzige:r Juror:in die Ansicht vertrat, sein Beitrag sei nicht völlig indiskutabel, sondern einfach nur grottenschlecht. Dass Herr Gordon zumindest beim Kopfrechnen über eine gewisse Begabung verfügte, konnte man in seinem Gesicht ablesen. Die fabelhafte und nicht zu Unrecht siegreiche Joy hingegen durfte ihren Titel abschließend noch mal singen, beim Schlussvers dekorativ umrahmt von ihren Konkurrent:innen. Wobei es eine Schrecksekunde lang so aussah, als hätten diese sich zusammengerottet, um die Gewinnerin vor laufenden Kameras zu meucheln. Joy wirkte auch kurz ein bisschen besorgt, sang aber tapfer weiter, schwenkte enthusiastisch den etwas welken Siegerinnenblumenstrauß und freute sich einen Ast. Noch.
Unvorteilhaftes Outfit, unvorteilhafte Schminke, unvorteilhaftes Orchester: in Stockholm wurde aus der coolen Zauberdrachenlady die “stampfende Brunhilde”.
Deutsche Vorentscheidung 1975
Ein Lied für Stockholm. Samstag, 3. Februar 1975, aus dem Sendestudio des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. 15 Teilnehmer:innen. Moderation: Karin Tietze-Ludwig. 36köpfige Jury.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz | Charts |
---|---|---|---|---|---|
01 | Marianne Rosenberg | Er gehört zu mir | 086 | 10 | 07 |
02 | Peggy March | Alles geht vorüber | 128 | 02 | - |
03 | Peter Horton | Am Fuß der Leiter | 079 | 11 | - |
04 | Jokers | San Francisco Symphony | 057 | 12 | - |
05 | Séverine | Dreh Dich im Kreisel der Zeit | 094 | 07 | - |
06 | Joy Fleming | Ein Lied kann eine Brücke sein | 134 | 01 | 32 |
07 | Maggie Mae | Die total verrückte Zeit | 094 | 07 | - |
08 | Werner Becker | Heut bin ich arm, heut bin ich reich | 054 | 13 | - |
09 | Mary Roos | Eine Liebe ist wie ein Lied | 115 | 03 | 50 |
10 | Ricci Hohlt | Du | 038 | 14 | - |
11 | Ricky Gordon | Sonja | 037 | 15 | - |
12 | Jürgen Marcus | Ein Lied zieht hinaus in die Welt | 090 | 09 | 03 |
13 | Love Generation | Hör wieder Radio | 115 | 03 | - |
14 | Katja Ebstein | Ich liebe Dich | 110 | 05 | - |
15 | Shuki & Aviva | Du und ich und zwei Träume | 108 | 06 | - |
Letzte Aktualisierung: 25.09.2022
haben Sie aug bilderen von RICKY GORDON ?
Ein Youtube-Video des Auftritts ist leider nicht verfügbar. Ein Foto von Ricky Gordon (er ist meines Wissens Belgier) gibt es hier: http://www.eurovision.de/geschichte/frankfurtvorentscheid101.html
Ein Video des kompletten Vorentscheids gibt es bei Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=OVe2PE4khvY – Auf dem gleichen Kanal sind auch die Vorentscheide von 1969, 1971, 1972, 1973, 1976, 1979 und 1980 (noch) verfügbar.